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Deutschland darzulegen: Kartschegan ist das Dorf am südlichen Ufer des Zayenderuds, das der UrururgroÃvater Hadsch Mollah Schafi Choà kaufte, nachdem er in Isfahan zu Ansehen und Vermögen gelangt war. Mit fünftausend Seelen war es die bevölkerungsreichste Siedlung der Gegend und hatte die gröÃten Felder, auf denen seine Anteilsbauern hauptsächlich Reis und Getreide anbauten. Als Hadsch Mollah Schafi Choà starb, wurde Kartschegan zwischen den fünf Söhnen und zwei Töchtern aufgeteilt, die ihren Besitz wiederum an ihre Kinder vererbten. Obwohl die Parzellen immer kleiner wurden, gehörte der gesamte Boden noch bis in die fünfziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts den »Nachfahren des Schafi«. Wie später sein Sohn kümmerte sich UrgroÃvater mit ganzer Leidenschaft um seine Ländereien, die er um den Garten Tschamtaghi erweiterte. Sechs Monate im Jahr teilte er das einfache Leben seiner Bauern, aà mit ihnen, ging mit ihnen aufs Feld, schuftete Schulter an Schulter; nur den Koran und Rumis Masnawi las er täglich allein oder für seine Kinder. Da es noch keine Maschinen, keinen künstlichen Dünger, keinen Beton für die Wasserkanäle gab, waren die Einnahmen gering, dafür ebenso die Ausgaben. Wolle man die Frage beantworten, ob die Verhältnisse vor oder nach der Bodenreform besser waren, gälte es vieles abzuwägen, mahnt GroÃvater, der den Veränderungen also auch Gutes zugesteht, aber da es nicht das Thema des vorliegenden Manuskripts sei (ich finde schon!), das sich darauf beschränke, sein Leben zu beschreiben (eben), gehe er dazu über, die Anstrengungen aufzulisten (in der gewohnten Ausführlichkeit), die er auf seinem Anteil von Kartschegan unternahm, und dem Stück, das er sich im Nachbardorf Berendschegan hinzukaufte (daher also Berendschegan). GroÃvater vergiÃt nicht, ein weiteres Mal die harmonischen Beziehungen zu seinen Bauern zu preisen, er betont die Zinslosigkeit der Darlehen, die er ihnen gewährte, und beklagt, daà Freundschaften zerbrachen und Vertrauen sich auflöste, als die WeiÃe Revolution die alte Ordnung zerstörte. Obwohl GroÃvater vor dem Schiedsgericht gewià beteuerte, auch die gröÃeren Ländereien in Kartschegan und Berendschegan selbst zu bewirtschaften, erwähnt er in der Selberlebensbeschreibung nur seinen Protest, jedoch keinen Versuch, sich gegen die Enteignung zu wehren. Es muà Kraft genug gekostet haben, das kleine Tschamtaghi zu behaupten: Von dem Unglück, der Aufregung und auch körperlichen Strapazen jener Monate habe er sich nie wieder erholt. Daà GroÃvater nur einen geringen, gar den unfruchtbaren Teil seines Bodens verloren habe und er dafür mit Industrieaktien mehr als entschädigt worden sei, wie es sich die AuÃerparlamentarische Opposition in Deutschland vorstellte, deutet sich in der Selberlebensbeschreibung nirgends an.
Ulrich Peltzer, der darauf besteht, daà die Hälfte des Lebens mehr bedeutet als nur Rückenbeschwerden, seine Helden stets um die Vierzig, obwohl er seit zwanzig Jahren Romane veröffentlicht, Ulrich Peltzer politisiert die Wirklichkeit und lehrt, sie mit neuen, fragenderen Augen zu durchschreiten. Ich meine wirklich: durchschreiten. Nach der Lektüre des Teils der Lösung schreitet man durch die Stadt, die vertraute Umgebung mit dem Gefühl, daà alles falsch ist, ein Riesenschwindel, und der Wut darüber, daà dem Schwindel inhärent ist, niemals aufzufliegen. Schuld heute personal zu denken wird dann spätestens zur Farce, wenn man die handelnden Personen kennt. In der Eingangsszene seines Romans ist umrissen, was noch festzuhalten wäre. Peltzer beschreibt darin eine Theateraktion, mit der eine Spontigruppe auf die Ãberwachungskameras im Berliner SonyCenter aufmerksam macht, die müden Reaktionen vor den Monitoren, auch keine Unmenschen, den routinierten Einsatz geringer Gewalt: »Wir bringen das hier ruhig zu Ende.« Man blickt zu den Ãberwachungskameras hoch, legt seinen Daumen auf die Ablesegeräte, blickt in die Pupillenkontrolle, wird nervös in jeder Sicherheitsschleuse, die es bei der letzten Reise noch nicht gab, und will sich von der Beschwörung des äuÃeren Feindes, die einem auf Schritt und Tritt begegnet, nicht mehr von der Ungerechtigkeit ablenken lassen, die schon die Bibel als die irdische Kernfrage aufwirft â nur an wen ist sie
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