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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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aufhorchen müssen, aber für Skepsis war es da schon zu spät. Im Eifer seiner Rede, wahrscheinlich selbst überwältigt von den starken Emotionen seiner Zuhörer, die zwischen Wut, Trauer, Kampfeswille und Begeisterung schwanken, läßt Ajatollah Chomeini durchblicken, daß Legitimität sich für ihn nicht vom Volk herleitet, sondern allein von Gott: »Und selbst wenn die Abgeordneten Iran verträten: Hiermit enthebe ich sie ihres Amtes! Sie sind mit diesem Augenblick ihres Amtes enthoben, und die Gesetze, die sie erlassen haben, sind mit diesem Augenblick ungültig.« Was konnte der Schah tun? Chomeini hatte ihn an seinem wundesten Punkt getroffen, seiner totalen Abhängigkeit von den Vereinigten Staaten. Jetzt waren es nicht mehr nur Ghom und der Basar, die protestierten. Selbst im Parlament, unter den Generälen, in den Ministerien regte sich Widerstand gegen das Kapitulationsgesetz. Vergeblich beteuerte der Premierminister, daß das Gesetz keine praktischen Auswirkungen habe und Immunität für ausländische Militärberater überhaupt das Gewöhnlichste der Welt sei. Es war einfach nicht zu erklären, warum ein amerikanischer Diener oder ein amerikanischer Koch in Iran mehr Rechte haben sollten als der Schah. Und dann trug das Gesetz auch noch dieses unmögliche Wort im Namen: Kapitulation. Mit der Souveränität der Nation hatte Chomeini das Thema entdeckt, mit dem er über die religiösen Kreise hinaus die Iraner für sich gewinnen und den Schah unter Druck setzen konnte. Ihn noch einmal verhaften zu lassen wäre dem Schah als Schwäche ausgelegt worden. Großvater ahnte, daß es nur zwei Möglichkeiten gab, wie der Showdown enden konnte, mit Chomeinis Hinrichtung oder seiner Verbannung. Daher war Großvater fast erleichtert, als er am 4. November 1964 in den Abendnachrichten von Radio Teheran versteckt zwischen zwei unscheinbaren Meldungen diesen einen Satz hörte: »Da das Verhalten Herrn Chomeinis und seine Agitation gegen die Interessen des Volkes sowie der Sicherheit, Souveränität und Unabhängigkeit des Landes gerichtet sind, wurde er ins Exil geschickt.« Dem Namen hat Großvater eine arabische Floskel beigefügt, die vor der Revolution für Chomeini verboten war und die er bald nach der Revolution nicht mehr für Chomeini verwandt hätte: »Möge Gott ihn ein langes Leben genießen lassen.« Mit dreißig, vierzig gebildeten, aufgeklärten Bekannten, die Großvater entgegen der heutigen Behauptungen meiner Mutter natürlich weiter regelmäßig traf, um über die politischen Entwicklungen zu diskutieren, suchte er seinen mystischen Führer auf, Ajatollah Hadsch Agha Rahim Arbab. Wie die meisten anderen Geistlichen Isfahans war der Pir aus Protest gegen die Verbannung Chomeinis seiner Moschee ferngeblieben und hatte die Gemeinschaftsgebete abgesagt. Großvater und seinen Bekannten genügte das nicht.
    Auf dem Photo, das den Enkel mit freundlichen Grüßen des Kommissionspräsidenten erreicht, steht der Vertreter des deutschen Islam auch dieses Jahr links hinten am Rand, obwohl er sich den Platz gar nicht selbst aussucht. Vielmehr sind auf dem Boden der Podeste kleine Namensschilder angebracht. Wieviel Kraft es die französische Diplomatie kosten mag, ihr Staatsoberhaupt egal bei welchem Gipfeltreffen jedesmal vorne in der Mitte zu plazieren, welche Zugeständnisse sie dafür den Polen oder Spaniern auf anderen Gebieten machen müssen, die sich doch für ebenso großartige Nationen halten und mindestens so wert, im Mittelpunkt zu stehen? Daß die Deutschen hingegen zur Buße für ihre frühere Herrschsucht freiwillig zur Seite rücken, ist fast so sympathisch wie ihre Unlust, Kriege zu führen, bei denen man sterben könnte. Für so historisch erschien dem deutschen Islam das Photo, daß er einer verdutzten Assistentin des Kommissionspräsidenten noch rasch seinen Rucksack reichte, um nicht als einziger auf dem Gipfel etwas in der Hand zu halten. Schon während der Konferenz hatte der deutsche Islam sich zu spät gemeldet, nämlich mit zwei Sekunden Verzögerung, so sehr war er von den synchron hochgestreckten Zeigefingern der neunundzwanzig anderen religiösen Führer Europas fasziniert, als der Präsident um ihre Beiträge bat. Erst beim sogenannten Arbeitsessen, das nichts anderes war als die Fortsetzung der zweiminütigen

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