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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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euch vor der Gefahr! Iranische Kaufleute, ich warne euch vor der Gefahr! Iranische Theologen, religiöse Autoritäten, ich warne euch vor der Gefahr! Gelehrte, Studenten! Zentren der Geistlichkeit und der Lehre! Nadschaf, Ghom, Maschhad, Teheran, Schiraz, ich warne euch vor der Gefahr! Die Gefahr ist nun zum Vorschein gekommen, aber es gibt andere Dinge, die sie vor uns verheimlichen. ›Diese Angelegenheiten müssen vertraulich behandelt werden!‹ heißt es im Parlament. Was wird also noch auf uns zukommen? Was kann noch schlimmer sein als dies? Sagt mir, was kann noch schlimmer sein als Sklaverei? Was kann noch schlimmer sein als Erniedrigung? Was wollen sie noch von uns? Was planen sie? Wozu sind überhaupt all diese amerikanischen Soldaten und Militärberater hier? Wenn dieses Land nun also besetzt ist, gut – nur was soll dann all dieses Gerede von Fortschritt und Entwicklung? Wenn diese Berater uns nur dienen sollen, warum behandeln wir sie dann königlicher als unseren Schah? Wenn sie Angestellte sind, warum behandeln wir sie nicht, wie jeder Staat der Welt seine Angestellten behandelt? Wenn unser Land von den Vereinigten Staaten besetzt ist, dann sagt es uns doch offen und schmeißt uns aus diesem Land hinaus!« Und so geht es weiter, in der Abschrift, die Großvater las, mehrere Seiten lang, Strophe, Überleitung, Refrain: In sachlichem Ton erklärt Chomeini die jüngsten Entwicklung in Teheran, zitiert die Verfassung und Gesetzestexte, erwähnt kurz die Weiße Revolution, die nichts als Schall und Rauch sei, und beklagt das Elend der Landbevölkerung, den Hunger und die Armut, um mit der neuerlichen Erwähnung des amerikanischen Dieners und des amerikanischen Kochs, die mehr wert seien als die höchste staatliche oder religiöse Autorität Irans, ein weiteres Trommelfeuer gleichklingender Appelle einzuleiten: »Bei Gott, wer nicht in Protest aufschreit, ist ein Sünder! Bei Gott, wer seine Entrüstung nicht zum Ausdruck bringt, begeht eine schwere Sünde! Führer des Islam, kommt dem Islam zu Hilfe! Gelehrte von Nadschaf, kommt dem Islam zu Hilfe! Gelehrte von Ghom, kommt dem Islam zu Hilfe! Der Islam ist vernichtet! Muslime! Führer der Muslime! Präsidenten und Könige der Muslime, kommt uns zu Hilfe! Schah von Iran, rette dich selbst!«
    Im Vergleich zu Doktor Mossadegh, der 1964 für Großvater und alle Anhänger der Nationalen Front nur noch eine quälende Erinnerung war, sprach Ajatollah Chomeini ungeschliffen, beinah roh. Mit seinen kurzen Sätzen, den alltäglichen Wörtern und den ständigen Wiederholungen hatte er etwas von einem Dorfprediger, der gegen den Gutsbesitzer wettert – nur daß dieser Gutsbesitzer kein Geringerer als der Schah war. Außer ein, zwei Sätzen über die Aufhebung der Geschlechtertrennung in den Schulen enthielt seine Rede nichts, was der säkularen Opposition aufstoßen konnte. Großvater, der die Koedukation vermutlich ohnehin ablehnte, war elektrisiert. Alle seine Freunde waren es. Sie hatten schon viel über Chomeini gehört, seinen Mut, seine Unbeugsamkeit, die Schärfe seiner Kritik, seine Verhaftung und seine triumphale Rückkehr nach Ghom. Zugleich hatten seine religiösen Ansichten ihnen angst gemacht. Sie lehnten den Schah ab, weil sie nach Fortschritt strebten, nach Demokratie und Unabhängigkeit, und nicht, damit Iran ins Mittelalter zurückkehrt. Als die Mitschrift der Rede am Tag danach, also am 28. Oktober 1964, in Isfahan von Hand zu Hand gereicht, von Moschee zu Moschee getragen und so auch Großvater zugetragen wurde, fragte niemand mehr, wofür Chomeini war, für welches Modell der Gesellschaft. Wichtig war allein, wogegen er war, nämlich gegen den Schah und den Ausverkauf der Nation. Selbst Kommunisten applaudierten, als sie den letzten Teil der Mitschrift lasen: »Dies ist Hochverrat! O Gott, sie haben Verrat begangen an diesem Land. O Gott, diese Regierung hat Verrat begangen am Koran. All die Parlamentarier der beiden Häuser, die ihre Zustimmung zu diesem Gesetz gegeben haben, sind Verräter! Diese alten Männer im Senat sind Verräter, die Abgeordneten im Unterhaus, die für dieses Gesetz gestimmt haben, sind Verräter! Sie sind nicht unsere Vertreter. Die ganze Welt muß erfahren, daß sie nicht Iran vertreten.« Erst jetzt, fast schon am Ende, kommt eine kurze Passage, an der säkulare Ohren hätten

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