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interessiert ihn das Thema nicht und miÃtraut er überhaupt der ethnologischen Erfahrung. Der Enkel macht Erfahrungen, die er verwertet, nicht Erfahrungen, um sie zu verwerten. Zudem hat er sich nie vorgenommen, das Gebet konsequent oder für immer oder auch nur längere Zeit einzuhalten. Es bleibt eine freie Entscheidung, seine Pflicht zu tun. Aber um aufhören zu können, muà er angefangen haben. Der andere Muslim überraschte ihn mit der Frage, ob er den Enkel begleiten könne, und gestand auf dem Weg zur Toilette, daà er sich ebenfalls ziert, unter Deutschen zu beten. Die Vorbehalte sind klar: In einem areligiösen Kontext strahlt es nun einmal etwas Dogmatisches aus, eine Strenge â das kann der Enkel gut nachvollziehen â, die den Betrachter einengt. GewissermaÃen ist dieser durch den Anblick gezwungen mitzubeten. Deshalb wartet er mit dem Gebet nach Möglichkeit, bis er zu Hause ist, und breitet seinen Teppich etwa nicht am Rande eines FuÃballturniers aus. So wunderbar die Erfahrung ist, durch das Gebet an einer Gemeinschaft teilzuhaben, so sehr möchte man den Eindruck vermeiden, sich aus einer anderen Gemeinschaft auszuschlieÃen, sich gegen sie zu wenden. Nicht immer vermeiden kann der Enkel, sich einige der Gedanken zu machen, die den Betrachtern durch den Kopf gehen könnten beim Anblick eines betenden Muslim. Man ist sich all der Vorbehalte selbst am genauesten bewuÃt, gerade erst die Meldung, daà in Iran eine Frau gesteinigt werden soll. Was soll einer, der nicht selbst betet, schon denken beim Anblick eines Muslim, der sich vor Gott niederwirft? Selbst im Gespräch wäre es unmöglich, einem Menschen ohne religiöse Schwingung zu erklären, was es mit dem Gebet auf sich hat und aus welchen abgelegenen Quellen sich die Zugehörigkeit speist, die man dann doch speziell zum Islam hat, zu Mohammad und seinen Nachfahren, zu Abraham und seinen Nachfahren. Wo soll man anfangen, wenn der andere nichts vom Sufismus ahnt, die Namen Ibn Arabi oder Sohrawardi nie gehört hat und vom Koran nur die Zitate aus dem Fernsehen kennt? Wie verständlich machen, daà der Glaube an Gott nichts anderes ist als die Formel, an keinen anderen Gott zu glauben? AuÃerdem stöÃt man auf praktische Schwierigkeiten, von denen keine unüberwindbar ist, die aber den Akt des Betens mit allen möglichen Nebensächlichkeiten aufblähen. Man muà zum Beispiel nach einem leeren Raum fragen oder vollzieht am Waschbecken einer öffentlichen Toilette eine rituelle Reinigung, dieser ganze Vorgang, das Ausziehen der Schuhe, das Waschen der FüÃe, dann wieder in die Schuhe hineinschlüpfen, möglichst ohne mit den FüÃen aufzutreten, das alles ist kurios, wenn hinter einem ein Wissenschaftlicher Mitarbeiter steht. Nicht daà es schlimm wäre, das nicht, aber der Enkel merkt, daà er Situationen, in denen sein Glaube zur Demonstration gerät, nach Möglichkeit vermeidet selbst wenn es, wie in diesem Fall mit einem anderen Muslim, sofort eine andere, innigere Gemeinschaft herstellt, die nach dem Gebet anhält, ohne daà es angesprochen würde, vielleicht so wie Schwule, die unter Heteros ebenfalls etwas teilen, ohne deswegen ein Paar sein zu müssen, oder doch anders, weniger faÃbar, so bildet der Enkel sich ein. Das gemeinsame Muslimsein ist dabei nur ein Aspekt. Mehr noch ist es der Vorgang des Betens an sich â daà man für den Lobpreis Gottes seinen Tag unterbricht, das hat innerhalb kultureller Eliten Westeuropas Anfang des einundzwanzigsten Jahrhunderts etwas â nein, nicht einmal etwas AnstöÃiges, etwas vollständig Fremdes, das aber die Fremden untereinander, gleich welcher Religion, wiederum verbindet. In öffentlichen Gebäuden oder überhaupt in der Nachbarschaft brauchte der Enkel keine Moscheen oder Kirchen; für die paar Gläubigen reichte ein gemeinsamer Andachtsraum aus, neutral gehalten oder seinetwegen christlich. Die Brüder und Schwestern störten sich schon 1963 nicht am Anblick.
Dem Redakteur, der ihn fragte, ob er einen Artikel zu einer Beilage beisteuern würde, die dem Abfall gewidmet sei, antwortete der Romanschreiber, daà er seit zwei, drei Jahren nichts anderes täte, als selbigen zu produzieren, und sich daher als Experte betrachte. Die Texte, die er von ihm publiziert habe, seien alles andere als Abfall, schrieb der Redakteur zurück. Doch, doch, das
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