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Bedürfnis der Jugend nach Zerstreuung verstehe, habe ich mir erlaubt, aus Respekt vor den â¦Â« Mitten im Satz unterbricht ihn eine junge Frau, zwanzig, zweiundzwanzig Jahre höchstens. Bekleidet mit einer hautengen amerikanischen Hose, wie sie seit einigen Jahren Mode ist, und einem halbärmeligen Hemd mit so vielen offenen Knöpfen, daà die beiden alten Herren gleichzeitig den Blick abwenden, hat sie sich neben GroÃvater aufgestellt, den sie um einen Kopf überragt, und verlangt keck eine Abstimmung: Wer Musik hören möchte, soll bitte die Hand heben! In allen oder so gut wie allen Sitzreihen, soweit GroÃvater es übersieht, werden die Finger nach oben gestreckt, untermalt von Johlen und Bravorufen. Mit der jungen Frau, die den Busfahrer anweist, das Radio wieder anzustellen, endet GroÃvaters Selberlebensbeschreibung, die mit der Auflehnung seines frommen Vaters gegen die Mullahs begann. »Als ich in dem Bus stand, blieb mir nichts anderes übrig, als mich wieder zu setzen und den Rest der Fahrt neben dem armen Hadsch Agha Mirza Dehkordi zu schweigen, der sich nach vorn beugte und die Ohren zuhielt, aber an dieser Stelle möchte ich den verehrten Leser fragen, egal, welchen Glaubens er ist und auch wenn er wie die Mehrheit der Reisenden abgestimmt hätte oder ihr Verhalten für richtig erachtet: Angenommen, in dem Bus hätten ausschlieÃlich oder auch nur zur Hälfte Christen oder Juden gesessen, und einer ihrer religiösen Führer wäre mit ihnen gefahren â wären sie so unhöflich mit ihm umgegangen, hätte sich auch nur einer der Reisenden eine solche Frechheit erlaubt? Lieber Leser, lassen Sie mich selbst die Antwort geben, denn sie ist eindeutig: Nein, niemals würden Christen oder Juden ihre religiösen Führer so respektlos behandeln. Und da wir nun einmal die sind, die wir sind: Wäre es nicht ehrlicher, wenn wir gar nicht mehr so täten, als seien wir Muslime? Wenn wir den Islam einfach ablegten wie ein Kleidungsstück, das auÃer Mode geraten ist? Wenn wir unsere Tugendhaftigkeit, unsere Sitten, unsere Menschlichkeit ablegten? Soviel Kenntnis habe ich von anderen Ländern erwerben können, daà ich nicht glaube, daà ein anderes Volk seine überlieferten Grundsätze und heiligen Werte so grob miÃachtet, ja verhöhnt wie wir. Egoismus und Selbstgefälligkeit in einem solchen Maà sind die Merkmale und Besonderheiten einer Nation, die aus ihrer zweitausendfünfhundertjährigen Geschichte nichts gelernt hat, auÃer mit ihrer Vergangenheit zu prahlen, hohle Phrasen zu dreschen und sich anderen Nationen und Religionen überlegen zu fühlen, die hinsichtlich ihrer Moralität in Wahrheit weit über uns stehen. Die bittere Wahrheit ist: So tief sind wir gefallen, verehrter Leser, daà Rettung nur noch von Gott ist.« GroÃvater wird noch einmal, wenngleich nicht als Wortführer, für etwas kämpfen, sich noch einmal begeistern und ausgerechnet an eine islamische Revolution glauben, obwohl er doch in Isfahan jeden Mullah kennt, und sich den kurzen Rest seines Lebens für seine Leichtgläubigkeit schämen.
Ein anderer Muslim saà auch in der Runde. In der Mittagspause des Workshops über die Welt (für die der andere zugewiesen war) und das Heilige (sein eigener Bereich) checkten sie anhand einiger Stichwörter ab, daà sie die gegenwärtigen Debatten ähnlich bewerten. So primitiv ist es geworden, daà man entweder dafür oder dagegen ist, für oder gegen â ja, was eigentlich? Für oder gegen sie, wie beim FuÃballturnier, so blöd. Der Enkel betet, nicht weil, sondern obwohl er damit eine Mitgliedschaft zu erkennen gibt. Der Austausch der Kodewörter, die den eigenen Standpunkt signalisieren â für oder gegen â, war nur Geplänkel. Nahegekommen sind sich die beiden erst, als der Enkel eine Mitarbeiterin des Instituts nach einem Raum fragte, in den er sich kurz zurückziehen könne. Wozu? fragte sie selbstverständlich. Die Antwort kostete immer noch Ãberwindung, obwohl er als Sprecher des Heiligen mit Verständnis rechnen durfte für eine Eskapade wie das Gebet. Ethnologisch mag es spannend sein, seinen Glauben als Muslim öffentlich zu praktizieren, ohne auszusehen wie auf den Titelblättern der Nachrichtenmagazine, ohne Löcher in den Strümpfen und schlechtsitzender Hose über dem breiten Arsch, doch
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