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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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Filme, wie amerikanische Filme oft gar nicht mehr sind. Inzwischen ist der Herr in Hannover ausgestiegen und hat der Sohn einen Petersilieneintopf ins Abteil bestellt. So taub und blind er sich zu stellen versucht, war die Hoffnung vergebens, daß möglichst wenig auf Erden geschieht und schon gar niemand stirbt, damit er die lesbare Fassung möglichst schnell erstellt; für die Poetikvorlesung muß er ja dankbar sein, aber jetzt auch noch die Scheidung, die er weder auf Erden noch im Roman gebrauchen kann, den ich schreibe, schließlich beginnen Himmelsreisen in der Literatur zwar ebenfalls mit der Not, aber enden mit Erlösung. Wenn überhaupt etwas, sollte der Sohn den Salon fortführen, den er auf der ersten Seite begann, so viele Gegenwartsautoren, deren Auftritt dem Roman entgeht, den ich schreibe, nach Peter Kurzeck etwa der schroffe Yitzhak Laor, der das israelisch-jüdische Motiv fortsetzen würde, das der Romanschreiber allerdings in der lesbaren Fassung bereits stark reduziert hat, auch das Motiv der Loyalität, immerhin las Laor das Gedicht an die Soldaten im Osten vor, in dem Brecht den brauchbaren Patriotismus bis hin zur Selbstvernichtung ausdekliniert, damit andere Gesellschaften gewarnt seien. Wenn der Romanschreiber vielleicht einmal lügen wird, die Konstruktion im voraus übersehen zu haben, log Laor, dessen Roman ungleich komplizierter gebaut ist, nichts geplant zu haben, wiewohl es schon Großvater für abwegig gehalten hatte, die Schöpfung ohne Schöpfer zu denken. Erst recht müßte der Roman, den ich schreibe, nach Siegen zurückkehren, wo der Sohn dem christdemokratischen Bürgermeister wieder begegnete, dem die Mutter schon wegen seiner gepflegten Erscheinung den Vorzug gibt: Der Bürgermeister, der aus dem Roman, den ich schreibe, eine despektierliche Bemerkung über Siegen in der Zeitung gelesen hatte, führte den Sohn zwei Stunden lang durch die Stadt, um ihn mit der Begeisterung darüber anzustecken, wieviel sich zum Guten verändert habe. Nebenher erwähnte der Bürgermeister, daß am Wochenende zuvor tausendfünfhundert Menschen für die Verlängerung der Autobahn demonstriert hätten, doch schafft der Sohn es nicht einmal, dieses winzige Motiv der Siegener Stadtautobahn, geschweige denn einen ganzen Erzählstrang zu Ende zu bringen, weil sich in Wolfsburg ein Paar ins Abteil gesetzt hat, das sich pausenlos über Platzzahlen, 2011 und Herrn Krämer unterhält, den man nicht anlügen dürfe, wenn er jetzt überweist. Daß Renate überarbeitet ist, erfährt der Sohn ebenfalls. Auf der Rückfahrt fährt er lieber mit Jean Paul, Hölderlin oder Seite 524 der lesbaren Fassung fort, da früher oder später im Leben alle Erzählstränge abbrechen. Schon gar nichts ist aus der Sendereihe geworden, die er auf der ersten Seite des Romans einführte, den ich schreibe, schon gar nichts aus dem Heiligen als Tuwort. In Urschrift ist es gerade am 19. Oktober 2007, 7:31 Uhr auf dem indischen Handy mit der kaschmirischen SIM -Karte, dessen Uhr ziemlich genau sein müßte. Wie schön, daß ihm der Bootsherr eine Kanne mit süßem Jasmintee bringt.
    Häufiger steht das Hilfsverb zwischen ich und Gott im Futur und beschäftigt sich Literatur mit dem Tod, dem der Roman, den ich schreibe, den Titel verdankt, der im Vertrag steht. »Der Geist stieg in sich und seine Nacht und sah Geister. Da aber die Endlichkeit nur an Körpern haftet und da in Geistern alles unendlich ist oder ungeendigt: so blühte in der Poesie das Reich des Unendlichen über der Brandstätte der Endlichkeit auf.« Präzise sind hier die beiden Pole in Jean Pauls Werk und vielleicht auch Hölderlins oder sogar aller Dichtung benannt, die als romantisch im weitgefaßten Sinne der Vorschule gelten könnte: Weist der Geist, der in sich und seine Nacht stieg, auf die Selbstvergegenwärtigung hin, die Jean Paul als so einschneidend erfuhr – »Ich bin ein Ich« –, wird mit der »Brandstätte der Endlichkeit« der Beweggrund seiner Dichtung als einer metaphysischen Revolte deutlich wie in der Rede des toten Christus: »Zufall, weißt du selber, wenn du mit Orkanen durch das Sternen-Schneegestöber schreitest und eine Sonne um die andere auswehest, und wenn der funkelnde Tau der Gestirne ausblinkt, indem du vorübergehest? – Wie ist jeder so allein in der weiten Leichgruft

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