Dein Name
des Alles! Ich bin nur neben mir â O Vater! o Vater! wo ist deine unendluche Brust, daà ich an ihr ruhe? â Ach wenn jedes Ich sein eigner Vater und Schöpfer ist, warum kann es nicht auch sein eigner Würgengel sein?« Wer »ich« zu sagen lernt, lernt, sich wichtig zu nehmen. Das ist nicht selbstverständlich. Die Verhaltensforschung bestätigt die Erfahrung aller Eltern, daà neben dem physischen Wohlergehen nichts notwendiger für ein Baby ist als die Erfahrung, geliebt zu werden. Um sich wichtig nehmen zu können, muà das Baby von anderen zunächst wichtig genommen werden, als gäbe es keinen Gott auÃer ihm. Daà alle anderen sich genauso wichtig nehmen, wie das Kind bald merkt, relativiert die eigene Bedeutung, aber negiert sie noch nicht â dann eben jeder ein Gott. Einschneidend ist vielmehr die Erfahrung der Ohnmacht, zunächst angesichts der Eltern, die das Kind zu erziehen beginnen, der Mitmenschen, der physischen Umgebung, später angesichts des Zufalls, dem der stärkste Wille nicht beikommt, und fundamental angesichts des Todes, der die Zukunft des Menschen nicht mehr nur bestimmt, sondern ein für allemal beendet. So zwingend es für den Menschen ist zu lernen, daà er ein Ich ist, so schwer fällt es ihm, sich damit abzufinden, daà er keines mehr sein wird. Jean Paul findet sich nicht ab. Keine andere Poetik schreibt der Dichtung so explizit die Aufgabe zu, das Ich, jedes Ich, über seine Vernichtung hinaus zu behaupten wie Die Vorschule der Ãsthetik : »Gibt es denn nicht Nachrichten, welche uns nur auf Dichter-Flügeln kommen können; gibt es nicht eine Natur, welche nur dann ist, wenn der Mensch nicht ist, und die er antizipiert? Wenn z.B. der Sterbende schon in jene finstere Wüste allein hingelegt ist, um welche die Lebendigen ferne, am Horizont, wie tiefe Wölkchen, wie eingesunkne Lichter stehen, und er in der Wüste einsam lebt und stirbt: dann erfahren wir nichts von seinen letzten Gedanken und Erscheinungen â Aber die Poesie zieht wie ein weiÃer Strahl in die tiefe Wüste, und wir sehen in die letzte Stunde des Einsamen hinein.«
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Hossein Ali Montazeri (1922 Nadjafabad; 19. Dezember 2009 Ghom) ( Bildnachweis )
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GroÃajatollah Hossein Ali Montazeri hatte sich von einem seiner Söhne die neueste Satire von Ebrahim Nabawi ausdrucken lassen. Die Nationalbank oder das Finanzministerium hatte wohl angekündigt, neue Banknoten mit höheren Beträgen auszugeben, damit die Iraner die Scheine nicht mehr bündelweise mit sich tragen müssen, wenn sie nur Obst einkaufen gehen oder Milch. Nabawi, dessen jüngster, traurigster Coup es ist, auf einem Video das Schaugeständnis des früheren Vizepräsidenten zu zeigen, noch bevor der im Häftlingspyjama tatsächlich im Fernsehen auftrat, Nabawi hatte alternative Geldnoten mit den Köpfen der herrschenden Geistlichkeit und sarkastischen Sprüchen entworfen.
Meine Frau und ich saÃen als einzige Laien in einem Rechteck von Geistlichen, das sich vor dem Schreibtisch Montazeris in Ghom gebildet hatte, unter ihnen zwei der mutigsten Aufklärer der mittleren Generation, beides seine Schüler, daneben alte, sehr ehrwürdig wirkende Ajatollahs, die ich nicht erkannte. Um genau zu sein, saÃen wir erst allein mit Montazeri (davon später mehr), als nach und nach die Kollegen und Schüler auf den Stühlen Platz nahmen, die an drei der vier weiÃgetünchten, schmucklosen Wände aneinandergereiht waren. Zu erleben, wie Mullahs untereinander reden, zumal über die politischen Zustände und die Kollegen in der Staatsführung, diese Symphonie aus Zwischentönen, Höflichkeitsabstufungen, Andeutungen der Anerkennung oder des Spotts, gestischen Signalen wie dem sehr bedeutsamen Hochziehen der Augenbrauen in einem bestimmten Moment oder dem wortlosen, ausdruckslosen Kopfschütteln wie in Zeitlupe, ist spannender als Hollywood, doch davon in einem anderen Buch, denn Montazeri selbst, der neben GroÃajatollah Sistani im Irak als höchste theologische Autorität der schiitischen Welt galt, gab dem Gespräch sehr bald eine frappierende Wendung, die alle Zwischentöne erübrigte: Haben Sie schon den neuen Nabawi gesehen? fragte er in die ernste Runde, worauf die Kollegen und Schüler nickten oder bejahend grummelten. Es genügte, daà einer der Gäste â vielleicht waren wir zwei es aus
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