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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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größtenteils sogar die Lebensmittelmarken. Die Espressobar, die italienische Schuhboutique, die Mobiltelefongeschäfte, die Pizzeria, die amerikanische Eiscreme, die schwedischen Möbel, den deutschen Discounter, die fünf Fastfood-Restaurants, das Möbelstudio mit Sofas von Ligne Roset , die Baseballmützen und gelben Polo- T- Shirts der Angestellten, die automatisierten Kassen (wie in den Vereinigten Staaten ist die Arbeitskraft so billig, daß jemand beim Eintüten hilft) und ebenso die Banken vermeiden konsequent alle Anzeichen des Lokalen, aber während des Karikaturenstreits haben sie anstelle des dänischen Feta-Käses Korane in die Kühlregale gestellt. Ach, wenn Amerika wüßte, wie erfolgreich es ist, wie sehr es geliebt wird, würde es vielleicht weniger Kriege anzetteln. In der Sonderverkaufsstelle am Eingang stehen Tannenbäume aus Plastik zum Verkauf, weißbefleckt mit Watte, außerdem Weihnachtsschmuck, Lichterketten. Nur der Santa Claus fehlt. Womöglich, weil er mit seinem weißen Bart zu sehr einem Mullah ähnelt. Verbleibende Flugzeit 1:04, aber die Batterie nur noch bei 27 Prozent, gerade noch genug, um wenigstens den Absatz abzurunden, wenn schon nicht den Roman, den ich schreibe: Das Hotel, in das der Kommilitone den Handlungsreisenden quartierte, hatten sie vor zwanzig Jahren nur betreten, um nach dem Geldwechseln einen Blick in den Garten und auf die Frauen zu werfen. Jetzt wurde der eine von Praktikanten, Mitarbeiterinnen und arabischen Kollegen umringt, während der andere die Rolle als europäischer Intellektueller zu spielen versuchte. Natürlich waren sie noch die beiden Jungen von früher, das bestätigten sie sich gegenseitig im Hotelzimmer, als der Kommilitone dem Handlungsreisenden eine Krawatte umband, und auf der Konferenz durch schelmische Blicke, nur daß der Kommilitone nach dem Podiumsgespräch keine Zeit hatte, in der Mittagspause auszubüxen, um Koschari zu essen, das Alltagsgericht der armen Ägypter aus Nudeln, Sauce, Linsen und getrockneten Zwiebeln, das er damals immer vorgeschlagen hatte, wenn der Kühlschrank leer war. An der neuen, gutbesuchten Neueröffnung ging der Handlungsreisende weiter zu ihrem alten Stammrestaurant, in dem niemand saß. Er überlegte noch zurückzukehren, entschied sich dann als Anhänger Adornos für das Alte in Kairo, nur damit ihm die verbrannten Zwiebeln noch am Abend schwer im Magen lagen.
    Daß Geburt und Tod Passagen sind, die aus der Endlichkeit hinausweisen, das haben wohl alle Autoren gesehen, die der deutschen Romantik im engeren Sinne der Germanistik zugerechnet werden – »Geboren werden und Sterben sind solche Punkte, bei deren Wahrnehmung es uns nicht entgehen kann, wie unser eigenes Ich überall vom Unendlichen umgeben ist«, sagt es Schleiermacher in der dritten Rede über die Religion. Allerdings spricht die Literatur seltener über das Ich, das Gott war, und enthält auch der Roman, den ich schreibe, mit der Frühgeburt nur eine einzige Passage, die ins Endliche führt und damit leichter zu bezeugen ist als der Tod. Manchmal, egal, was rings um ihn in der Wohnung, in der Stadt, auf der Welt sonst gerade geschieht, manchmal betritt der Vater frühmorgens sein Schlafzimmer, war vielleicht zwischendurch nur Zähneputzen oder Kaffeeholen oder Frühstückmachen für die Ältere, müde und tapsig, und ist verblüfft, im positivsten Sinn geschockt, mitten auf dem großen Bett ein kleines Mädchen vorzufinden, ein zweites, in seinem Fall sogar, um die Passage auszuleuchten: frühgeborenes Kind, das immer schon wach ist, neugierig auf den morgendlichen Verkehr im Schlafzimmer, zufrieden und fröhlich, und ist dann auch zufrieden und fröhlich, sofort rundum fröhlich, herausgerissen aus dem Zähneputzen, Kaffeeholen, Frühstückmachen, wegen dem er drei Minuten vergessen hatte, warum er mehr als nur zufrieden, warum er dankbar sein sollte und es augenblicklich ist, herausgerissen ins Leben.
    Zwei Tanten sind bereits aus Amerika eingeflogen, die Mutter aus Deutschland leicht angeschubst von ihrem Sohn, weil sie Furcht hatte, dem vierzigtägigen Trauerritual nicht gewachsen zu sein. Beinah wie eine Deutsche redete sie davon, es lieber mit sich allein auszuhandeln. Der Sohn, der in Deutschland aufwuchs, erinnerte sie an das Primat der Aufopferung in den Letzten Dingen. Es zähle jetzt nicht, wie

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