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Schoà gefaltet, ohne sie auch nur einmal zu heben, keine Mimik, fast keine Betonungen. In meinen eigenen Worten ausgedrückt, sagte er, daà die Geschichte sich manchmal so füge, daà sie einem einzelnen die Last von vielen aufbürdet, die Last eines Volks oder einer Religion. Montazeri sei die Aufgabe zugekommen, in einer Epoche, in welcher der Islam und zumal die Schia unvorstellbar tief gesunken seien, unter einer schiitisch-islamischen Herrschaft, die an Grausamkeit, Zynismus und Korruption jede gewöhnliche Diktatur übertreffe, GroÃajatollah Montazeri sei die Aufgabe zugekommen â und zwar die längste Zeit in völliger Isolation â, in seiner Person zu verkörpern und damit unzähligen anderen Menschen das BewuÃtsein zu bewahren, daà der schiitische Islam eine Religion der Freiheit, der Barmherzigkeit und der Gerechtigkeit sei.
Es muà so sein, daà sich die Menschen etwas Heiliges vom Islam bewahrt haben, dachte ich, als ich auf Voice of America tags darauf die vielen Hunderttausend oder Millionen sah, die trotz aller Schikanen, StraÃensperren und Gefahren für Leib und Leben nach Ghom aufgebrochen waren, um einem Geistlichen das letzte Geleit zu geben, wo doch die Geistlichkeit als verhaÃt gilt. Auf BBC konnte ich den Stau auf der Autobahn, die endlosen Schlangen in den EinfallsstraÃen, die Menschenmassen auf den StraÃen nicht sehen, weil es dem iranischen Staat gelang â unter Aufbietung von wieviel Geld, Technik und Intellekt? â am Abend des Begräbnisses die Satellitenfrequenz zu stören. Die politische Demonstration, zu der die Trauerfeier geriet, hätte unter den gegenwärtigen Umständen, angesichts dieser massiven Repression kein säkularer Führer zustande gebracht.
Aber es ist auch für mich ganz persönlich so: Warum habe ich Montazeri besucht und in Deutschland so oft von ihm gesprochen, seine Fatwas in Zeitungen unterzubringen versucht und Politiker wie Diplomaten auf ihn aufmerksam gemacht? Das hatte einen berechtigten Grund in seiner politischen und theologischen Relevanz für die Entwicklungen in Iran. Zugleich war er, ohne daà ich es mir klarmachte, für mich als einzelner der Zeuge, daà nicht nur Irrtum sei, was ich als Kind von der Religion wahrgenommen, gespürt, gelehrt bekommen und etwas später auch gelernt hatte.
Es war ja nicht nur, was er sagte â daà er gegen die Tyrannei wetterte und dem Revolutionsführer persönlich die Legitimation absprach, daà er den Bau der Atombombe verdammte, ungeachtet ihres Glaubens allen Bürgern Irans und ausdrücklich auch den Bahais die gleichen Rechte zusprach, die Besetzung der amerikanischen Botschaft bereute, jedwede Gewalt gegen Zivilisten verurteilte, gleich von wem, gegen wen sie ausgeübt wird. Es war, wer all das sagte: Nicht ein junger Aufrührer, sondern der höchststehende schiitische Theologe unserer Zeit, in klassischer Philosophie geschult, belesen auch in zeitgenössischer englischer Literatur und Wissenschaft, der unbestritten bedeutendste Interpret der Kunst der Beredsamkeit von Imam Ali, der nach dem Koran wichtigsten Quelle der schiitischen Theologie. Herr Borgheà sagte in Voice of America , daà vielleicht nie wieder einem schiitischen Geistlichen dieser Rang zuteil werden würde, weil mit seinem Tod nicht nur ein Leben, sondern eine Epoche zu Ende gehe.
Es ist bekannt, daà auch GroÃajatollah Montazeri Fehler beging und zahllose Grausamkeiten geschahen, als er noch zweiter Mann im Staat war. Er hat die Doktrin der Welayat-e Faqih ausgearbeitet, der »Herrschaft des Rechtsgelehrten«, sich vehementer als andere für den Export der Revolution eingesetzt und keineswegs sofort das Wort erhoben, als in den Gefängnissen die Massenhinrichtungen, Folterungen und Vergewaltigungen begannen. Doch gibt es vermutlich keinen politischen oder religiösen Führer unserer Zeit, der so konsequent eigene Irrtümer eingestand und den Preis für ihre Revision zahlte â bis hin zum biographisch bittersten Eingeständnis, daà er kein zweites Mal für eine islamische Revolution kämpfen würde. So hat er Fehler begangen, ja, aber an dem einen Grundsatz stets festgehalten: Der Erhalt des Systems rechtfertigt nicht alles. Besser das System geht unter, als daà die Gerechtigkeit untergeht. Das ist ein sehr alter Grundsatz politischen Denkens im Islam, bereits von Nezam ol-Molk im
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