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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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Deutschland – die Satire noch nicht kannte, damit der greise Großajatollah sie zum besten gab: Den neuen Nabawi müssen Sie gesehen haben.
    Leider habe ich die Satire nicht im Internet gefunden und kann mir daher nicht mehr in die Erinnerung zurückrufen, was an den Banknoten oder deren Kommentierung so witzig war. Ich weiß nur, daß der greise, ungebrochene, unter dem Schah gefolterte, von Chomeini als Nachfolger abgesetzte, eben erst aus dem Hausarrest befreite Montazeri, früher Lehrer und später Dorn im Auge der heutigen Staatstheologen, die fast alle in seinem Seminar saßen, ich weiß nur und werde nie vergessen, wie der Großajatollah aus der Zeitungssatire eine Show machte, bei der sich die ehrwürdigen Kollegen, die mutigen Schüler und wir zwei viel jüngeren Laien aus Deutschland vor Lachen buchstäblich kringelten. Er hatte sich jede Note auf ein einzelnes, DIN A4 großes Blatt drucken lassen, und wie late night die Unterhalter im Fernsehen, die auch immer hinter einem großen Schreibtisch sitzen, kündigte er eine Pointe nach der anderen an, den machttrunkenen Revolutionsführer, seinen windigen Rivalen, den zaudernden Reformer und noch einige andere, und nach jeder Ankündigung tat er für eine Kunstpause so, als müsse er das Blatt im Stapel noch suchen, bevor er mit einer letzten, bissigen Bemerkung die Banknote hervorholte und triumphierend in die Höhe hielt.
    Man muß sich vor Augen halten, daß Montazeri anders als die Unterhalter im Fernsehen, die meist hochgewachsen und elegant gekleidet sind, von äußerst kleiner Statur war und eine Pyjamahose zum weißen Stehkragenhemd trug, dazu eine viel zu große Kunststoffbrille und auf dem Kopf die schlichte Kappe des Mekkapilgers – den Turban hatten ihm seine früheren Schüler verboten –, man muß sich das verschmitzte, aber auch sanftmütige, erkennbar bäuerliche Gesicht mit der nach außen gekehrten Unterlippe vorstellen, über das in Iran so viele Witze kursierten, als er noch designierter Revolutionsführer gewesen, man muß die helle, krächzende Stimme im Ohr haben und den mir so vertrauten Singsang des Dialekts aus der Gegend von Isfahan mit seinen hochgezogenen Endsilben, der selbst ernsten Bemerkungen etwas Keckes verleiht, als seien sie so ernst auch wieder nicht gemeint – und was erst, wenn man in diesem Singsang Späße treibt –, man muß sich den Schrecken der Revolution in ihrem sechsundzwanzigsten Jahr vergegenwärtigen, alle kritischen Zeitungen verboten, schon wieder Hunderte Oppositionelle verhaftet, die Hoffnungen auf Reformen begraben, die Staatsgewalt mit Polizisten und Geheimdienstagenten auch rund um Montazeris Haus postiert, man muß sich bewußtmachen, bei wem und wo wir uns befanden, in der heiligen Stadt Ghom, in der Islamischen Republik Iran, bei keinem anderen als dem verfemten, widerständigen Großajatollah Hossein Ali Montazeri, um zu begreifen, warum Prusten, Kichern, Gelächtersalven, Schenkelklopfen, Klatschen und seufzendes Atemholen den Raum erfüllten. Ebrahim Nabawis Satire war bestimmt lustig, Montazeris Komödiantik bühnenreif – aber die Unbeschwertheit des Augenblicks verdankte sich auch der Schwere des historischen und dem Bewußtsein des religiösen Moments: Die draußen haben Macht nur in dieser Welt, haben Macht nur eine bestimmte Zeit. Gott ist größer.
    Zwei Abende zappte ich wie benommen zwischen den persischsprachigen Fernsehsendern der BBC und von Voice of America hin und her, ohne mir recht klarmachen zu können, worin für mich persönlich die Bedeutung dieses Mannes lag, der doch nicht in dem Sinne meine »Quelle der Nachahmung« war, daß ich seine theologischen Anweisungen strikt befolgt hätte. Auf BBC sahen wir Abdollah Nuri, den abgesetzten Innenminister, der auf die Frage, wie groß der Verlust sei, hemmungslos zu weinen anfing. Das verstand ich. Bei Voice of America war ein Herr Borgheí zu Gast, selbst Sohn eines Großajatollahs, ein schon älterer Herr mit dem Kinnbart der religiösen Intellektuellen, der mich plötzlich aufmerken ließ, indem er genau das aussprach, was ich für mich persönlich, den in Deutschland geborenen Sohn frommer iranischer Auswanderer, als wahr empfand. Herr Borgheí redete anders als Abdollah Nuri in völliger Regungslosigkeit, saß auf seinem Bürostuhl, die Hände auf dem

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