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elften Jahrhundert formuliert und noch dringlicher für die Schia, die neben dem Monotheismus, dem Prophetentum, dem Jenseits und dem Imamat die Gerechtigkeit Gottes zu einem der fünf Prinzipien erhebt, an die jeder Schiit glauben muÃ. Der Vorrang der Gerechtigkeit vor dem System ist auch der Kern von Montazeris Konflikt mit seinem Schwager und engsten Weggefährten, dem GroÃajatollah Chomeini, der genausogut über die Repression und Brutalität des Staatsapparats informiert gewesen sein muà â und sei es nur durch die Brandbriefe, die Montazeri ihm schrieb. »Möge Gott mir verzeihen«, sagte Chomeini, als Montazeri bei ihrer letzten Begegnung am 19. Januar 1989 schon aufgestanden war, um das Zimmer zu verlassen. Zuvor hatte Chomeini sich wieder eine halbe Stunde lang schweigend die Vorwürfe Montazeris angehört. »Möge Gott mir den Tod bringen«, fügte Chomeini an, als sei der erste Wunsch selbst für Gott nicht zu erfüllen.
Chomeini ordnete alles, ausdrücklich auch die Gebote des Korans und also erst recht alle individuellen Belange und eigenen Interessen dem Ziel unter, die als göttlich angesehene, nach tausendvierhundert Jahren des Verrats an der prophetischen Familie endlich errichtete Ordnung zu bewahren, koste es dem Land, koste es den Menschen, koste es Chomeinis eigenen Angehörigen, Weggefährten und ihn selbst, was es wolle. Die Frage, warum Gott in Seiner Gerechtigkeit von einem einzelnen etwas verlangen kann, was dessen Gerechtigkeitsempfinden radikal widerspricht, hielt Chomeini in der Nachfolge Abrahams für unergründlich. Für Montazeri hingegen konnte eine Ordnung, die die Gerechtigkeit preisgibt und ihren Erhalt nur Knüppel und SchieÃgewehren verdankt, gar nicht heilig sein.
Ãber meinen Besuch im Jahr 2000, als Montazeri noch unter Hausarrest stand â konkret: in zwei Räumen eingesperrt war â und ich vom Wohnzimmer aus über eine Freisprechanlage mit ihm sprach, berichtete ich ausführlich in der Revolution der Kinder . Dort habe ich auch den Brief abgedruckt, den Montazeri mir nach Deutschland schickte, um ihn in der Frankfurter Allgemeinen zu veröffentlichen, ein ebenso trauriger wie entschlossener Appell, übrigens auch auÃergewöhnlich elegant formuliert. Dann besuchte ich ihn 2005 wieder, als der Arrest endlich aufgehoben war, fand aber nicht viel zu berichten, weil schon bald seine Kollegen und Schüler ins Zimmer traten und er dem Gespräch die Wendung gab, die ich unmöglich für einen Artikel verwenden durfte.
Ein Lebenslauf wie Montazeris, der für die Freiheit so viel erleiden, im Triumph so hoch steigen und als Gerechter so tief fallen konnte, um als Verleugneter zum Helden zu werden, ist in Westeuropa seit sechzig, siebzig Jahren nicht mehr möglich â oder noch länger, weil die Herrschaft des Terrors seit der Neuzeit nirgends so lang währte. In Iran währt sie, in unterschiedlicher Intensität und von kurzen Phasen des Aufbruchs und der Freiheit unterbrochen, nun schon hundert Jahre, und davor war es nicht besser. Ohne andere Heldenepen und Martyrien deswegen geringer zu schätzen, ist ein Lebenslauf wie Montazeris wohl auch nur möglich in einer Kultur, die die Selbstopferung auf so extreme Weise zelebriert. Und doch war ausgerechnet Montazeri, Gelehrter, Held und Zeuge, von ergreifender Menschlichkeit â und damit meine ich einmal nicht das Menschsein in seinen edelsten Ausprägungen, sondern meine ich den Menschen im alltäglichen Sinne als ein Gegenüber, das einen wahrnimmt und sich selbst nicht so wichtig, ein Fragender ohne jede Attitüde, der auch gering scheinende Besucher ungeachtet des denkbar höchsten Unterschieds im Rang, in der Bildung und der Lebenserfahrung von gleich zu gleich anspricht, ein Gelehrter, der Humor hat, Selbstironie und nicht auf alles eine Antwort.
Als er noch designierter Nachfolger Chomeinis war, gehörte es zum Repertoire eines jeden geselligen Beisammenseins in bürgerlichen Kreisen, einen Witz über Montazeri zu reiÃen, seinen Dialekt aus der Gegend von Isfahan zu parodieren, der für andere Iraner so hinterwäldlerisch wirkt wie Sächsisch für Westdeutsche, über die Schlichtheit und den umgangssprachlichen Duktus seiner Reden zu lachen, sein rundes Gesicht mit der starken Unterlippe, den Pausbäckchen und den buschigen Augenbrauen zu verulken. Von einem auf den anderen Tag
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