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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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angeordnet hatte, warteten wir drei Schwestern am Nachmittag darauf, daß er in seinem Jeep Modell vier vorfuhr. Als es hupte, eilten wir aufgeregt vors Tor, allein, da war kein Jeep Modell vier, da war überhaupt niemand – oder doch: Aus dem offenen Fenster eines klapprigen Gefährts von anno dazumal, das mehr Ähnlichkeiten mit einem Fiaker als mit einem Automobil aufwies, winkte uns eine Hand fröhlich zu: seine Hand. Wir stiegen ein, und das Gefährt setzte sich poch poch in Bewegung. Zwischendurch knallte es, dann schauten uns die Passanten erschrocken an. Als ich wenigstens das Fenster schließen wollte, stellte ich fest, daß das Gefährt überhaupt keine Fenster hatte. Da saßen wir nun zu dritt auf der Rückbank einer Pferdekutsche mit Motorantrieb, drei junge Mädchen, hübsch, aufgetakelt, ohne Kopftuch, auf die alle Fußgänger starrten, wenn der Motor wieder knallte, aber er saß grinsend vor Stolz hinterm Steuer, als würde er uns im Cadillac über die Champs-Élysées kutschieren. Am Lebenspendenen Fluß entlang polterten wir aus der Stadt, immer wieder aufgeschreckt durch das Hupen der Autos hinter uns, die zum Überholmanöver ansetzten. Hinter dem Hain, der als ›Liebesbusch‹ verrufen war, bog er vom Weg ab und fuhr poch poch zwischen den Gebüschen ans Ufer. ›Dort ist es am schönsten‹, rief er mit der Inbrunst eines Welteroberers und wies auf eine kleine bewaldete Insel, die durch ein schmales Stück Wasser vom Ufer getrennt war. Geradewegs fuhr er darauf los, gab am Ufer einmal Vollgas, daß vor Schreck die Vögel von den Bäumen fielen, und setzte durchs Wasser auf die andere Seite über, wo wir endlich aussteigen durften. Ohne auch nur eine Sekunde sein dämliches Lächeln abzulegen, holte er aus dem Kofferraum einen Teppich, den Korb mit dem Essen und einen Gaskocher. Während er das Picknick vorbereitete, standen wir schweigend nebeneinander und beobachteten ihn. Erst als alles angerichtet war, auch vier Eier geschält und die Gurken gesalzen, forderte er uns strahlend auf, uns zu setzen. Wir schlüpften aus unseren Schühchen, setzten uns im Schneidersitz auf die Decke und bedienten uns, zögernd zunächst, doch dann kam der Appetit tatsächlich beim Essen, wie Mama immer sagte. Wir unterhielten uns auch, über dies und das, nichts Besonderes, nur daß wir uns nicht mehr so gehemmt fühlten. Ja, eigentlich war das Picknick ganz nett und die Insel wirklich idyllisch.«
    Vielleicht sollte ich die Idee aufgreifen, die dem Poetologen während des vorletzten Absatzes kam, und den Roman, den ich schreibe, einfach Der Roman, den ich schreibe nennen, so wie das Essen, das ich esse, das Getränk, das ich trinke, oder die Frau, die ich liebe; dann wäre ich wenigstens im Titel dicht an der Poetik, die er am Pult von Theodor W. Adorno postulieren wird, und hätte überdies den Zen-Meister Baso Matsu gewürdigt.
    Â»Keine halbe Stunde war vergangen, als es bereits dunkelte, so daß wir uns auf den Rückweg machen wollten. Wieder standen wir drei Schwestern nebeneinander und beobachteten schweigend, wie er das Essen in den Korb legte, den Gasofen auseinanderbaute und den Teppich zusammenrollte. Als alles im Kofferraum verstaut war, stiegen wir ein. Er startete den Motor, rüttelte an der Gangschaltung und drückte ein ums andere Mal aufs Gaspedal, doch das Gefährt bewegte sich keinen Meter. Offenbar rastete der Rückwärtsgang nicht ein. Wenden konnte er auch nicht, dazu war die Insel zu klein oder standen die Bäume zu dicht. Vor Ärger biß er sich auf die Lippen, seine Augen blickten ratlos umher, und auf der Stirn bildeten sich Schweißperlen. Was er auch versuchte, der Wagen ließ sich nicht rückwärts bewegen, und vorwärts ging es ebensowenig. Auch sein Lächeln war jetzt endlich verschwunden. Schließlich schaltete er den Motor ab und stieg aus. Wir drei Schwestern taten es ihm nach, zitternd vor Angst. Es war totenstill und fast dunkel geworden. Wohin wir auch blickten, sahen wir nur Bäume, Sträucher und Wasser. Da standen wir nun neben seiner Klapperkiste, die nicht einmal ihm selbst gehörte, wie er später, sehr viel später zugeben sollte, drei junge Mädchen, hübsch, aufgetakelt und ohne Kopftuch, allein mit einem Mann an gottverlassenem Ort, ringsum die Dunkelheit, fern der Stadt und nah einer Gegend, die als

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