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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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»Liebesgebüsch‹ verrufen war, ein Treffpunkt der Hehler, Dirnen und Zuhälter, ja, der Diebe und Mörder, so hatten wir gehört. Wehe, wenn uns die Hehler, Dirnen und Zuhälter hier entdeckten, dann würden sie uns verlachen, beschimpfen, verprügeln oder Gott verhüte noch Schlimmeres antun, um von Dieben und Mördern gar nicht erst zu reden, die hinter jedem Gebüsch lauern konnten. Und angenommen, wir hätten Glück, eine Polizeistreife läse uns auf und brächte uns nach Hause, womöglich in einem Polizeiauto wie drei Strafgefangene – was für ein Skandal! Die Nachbarn würden sich das Maul zerreißen, und am nächsten Tag wüßte ganz Isfahan, daß die drei Töchter des frommen Herrn Schafizadeh nachts aufgetakelt im Liebesgebüsch mit einem Mann aufgegriffen wurden.«
    Der Romanschreiber ist, das dürfte hinreichend deutlich geworden sein, sehr glücklich über den Vertrag mit einem Verlag, da er aus Gründen, die er Ihnen großgeschrieben, also den Leserinnen und Lesern des Romans, den ich schreibe, nicht mehr erklären muß, und ihnen kleingeschrieben, den Hörern und Hörerinnen der Vorlesung, besser verschweigen wird, lange nicht damit rechnen durfte, daß jemand den Roman liest, den ich schreibe, geschweige denn veröffentlicht. Selbst die Frau, die in dem Roman geliebt wird, hat bislang nur den Anfang gelesen, weil der Romanschreiber sich vor ihrer Reaktion fürchtet. Ich werde ihr die restlichen tausend oder noch mehr Seiten zu lesen geben, bevor der Roman veröffentlicht wird, den ich schreibe, und ihre Reaktion schildern, so fürchterlich sie ausfällt. Der Romanschreiber hofft, daß die Frau, die er liebt, den Roman, den ich schreibe, als Liebeserklärung versteht, aber ich hoffe auf eine fürchterliche Reaktion, nein: genauer: ich hoffe ebenfalls auf ihr Verständnis, aber werde ihre Reaktion womöglich fürchterlicher ausmalen, als sie sein wird, wenn es sich als Spannungselement besser in den Roman fügen würde, den ich schreibe.
    Â»Egal – etwas mußte geschehen, er selbst schien das auch einzusehen. Und was tat er? So laut er konnte, schrie er um Hilfe! Herr Gott, wenn wir entdeckt würden? Aber niemand war zu hören, weder Hehler, Dirnen und Zuhälter noch Diebe, Mörder oder die Polizei. Nur der Hall antwortete ihm und die Krähen. Wir drei Schwestern standen immer noch zähneklappernd nebeneinander und beobachteten ihn sprachlos. Seine verzweifelten Blicke waren nicht dazu angetan, uns zu beruhigen. Als habe Gott ihm eine Eingebung gewährt, zog er sich Schuhe und Socken aus, krempelte die Hose übers Knie, stellte sich vor die Motorhaube und fing an, das Gefährt nach hinten zu schieben. Sofort schlüpften wir ebenfalls aus unseren Schühchen, streiften die Strumpfhosen ab, krempelten die Röcke hoch und packten mit an. Langsam bewegte sich das Gefährt, nahm am abfallenden Ufer etwas Fahrt auf, so daß wir den Schwung ausnutzen wollten, um es mit einem Ruck durch das Wasser zu schieben. Doch mitten in der Mulde blieb es stehen. Keuchend lehnten wir uns auf der Motorhaube, die Beine bis über die Knie im Wasser. Wie auf ein Zeichen fingen wir panisch an, mit vereinten Kräften gegen das Gefährt zu drücken, es bewegte sich, ja, es bewegte sich, jeder schob noch einmal so fest, bewegte es sich wirklich?, Gott sei gepriesen: ja, es bewegte sich, es bewegte sich einen, dann noch einen Meter, und wirklich rollte das Gefährt ans Ufer. Daß wir bis über die Hüfte klitschnaß geworden waren und uns der Schweiß aus dem Gesicht triefte, war gleichgültig: Hauptsache, der Wagen würde anspringen, Hauptsache, wir kehrten heim. Er setzte sich hinters Steuer, drehte den Zündschlüssel, der Motor jaulte auf, es knallte mehrmals, dann wurde es wieder still, ein neuer Versuch und noch einer – und der Motor lief. Welche Erleichterung, welche Glücksgefühle uns überkamen, bedarf keiner Worte. Jubelnd sprangen wir auf die Rückbank und krempelten, während er schon losfuhr, die Röcke herunter, zogen die Strumpfhosen an, schlüpften in die Schühchen und fühlten uns, als habe Gott uns soeben ein neues Leben geschenkt.«
    Â»Nach etwa einer halben Stunde erreichten wir poch poch die Stadt. Sosehr wir uns auf unser Zuhause freuten, wich die Erleichterung über unsere Rettung allmählich der Sorge, was

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