Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
Vom Netzwerk:
gekommen war, und schwang sich vom Bett. Als ich ein paar Minuten später verwirrt, verdutzt und vor allem peinlich berührt aus dem Zimmer trat, saßen alle rund um das Tuch und schienen in ihr Frühstück vertieft zu sein. Nur Mama erzählte meiner Tante, daß der junge Herr Doktor vier Anstellungen gleichzeitig habe, obwohl er offiziell noch Student ist, vier!, und er arbeite mit den amerikanischen Ärzten zusammen, den Amerikanern!, und jeden Morgen fahre er zusammen mit einer Handvoll anderer junger Ärzte in einem echten Jeep Modell vier, Modell vier!, nach Doulatabad, wo er eine seiner vier Anstellungen habe, vier Anstellungen!, und abends kehre er nach Isfahan zurück, um in seiner Praxis zu arbeiten, die hervorragend laufe, hervorragend!, wie sie sich mit eigenen Augen überzeugt habe, mit eigenen Augen! ›Der junge Herr Doktor kann meinetwegen der Leibarzt des amerikanischen Präsidenten sein‹, warf von der anderen Seite des Teppichs Papa halb spöttisch, halb ärgerlich ein, ›aber daß er jetzt schon mit meiner Tochter ausgeht, kann er sich aus dem Kopf schlagen, Gnädige Frau. Erst wird sich vermählt, dann mag er in Gottes Namen mit seinem Jeep Modell vier vorfahren.‹ ›Er will doch nicht mit ihr ausgehen, Herr‹, pustete Mama die Bedenken Papas vom Teppich: ›Erstens fahren die anderen Kinder mit, und zweitens will er sich nur kurz bei der Hadschiyeh Esmat Chanoum vorstellen.‹ Die Hadschiyeh Esmat Chanoum war Papas Mutter, der unter allen Mitgliedern der Familie der höchste Respekt gebührte. ›Was soll schon dabei sein, das gehört sich doch so.‹«
    Daß der Roman, den ich schreibe, ständig mitbedenkt, wie er geschrieben ist, hat zur Folge, daß das, was der Romanschreiber am 11. Mai 2010 und den vier darauffolgenden Dienstagen in Frankfurt vortragen wird, anders als bei seinen fünfzig Vorgängern und Vorgängerinnen nicht gesondert als kleine Broschüre oder als Taschenbuch erscheint. Die Vorlesung ist der Roman, den ich schreibe. Wer sie nachlesen wollte, müßte warten, bis der Roman erscheint, den ich schreibe, und sich dann durch tausend oder noch mehr Seiten mühen, auf denen sich seine Poetik hier und dort verteilt. Im Leben wägt man das eigene Tun schließlich auch nicht nur einmal oder an bestimmten Tagen. Man wägt das eigene Tun immer wieder und oft bei den unpassendsten Gelegenheiten. Der Romanschreiber dachte zum Beispiel über den Roman nach, den ich schreibe, während er die Frau umarmte, die er liebt, obwohl er mit seinen Gedanken nur bei ihr sein sollte, nur wann ist man schon, wenn man kein Zen-Meister ist, mit seinen Gedanken nur bei einer Person oder Handlung, ißt nur , wenn man ißt, trinkt nur , wenn man trinkt. Auch wenn der Romanschreiber ans Pult von Theodor W. Adorno tritt, wird er vielleicht gar nicht oder nicht ausschließlich bei seiner Poetik sein, sondern schweifen seine Gedanken – das ist jetzt rein hypothetisch, da er diesen Satz der Vorlesung ja bereits am 12. März 2010 schreibt und nicht wissen kann, woran er denken wird, wenn er den Satz am 11. Mai vorträgt –, sondern schweifen seine Gedanken zum Beispiel, weil ich sie bereits erwähnte, zu der Frau, die er umarmte, während er über den Roman nachdachte, den ich schreibe. Das Beispiel ist natürlich keineswegs hypothetisch, wie nichts in dem Roman hypothetisch ist, den ich schreibe, da er am 11. Mai in Frankfurt sehr wohl an die Frau denken wird, die er umarmte, während er über den Roman nachdachte, da sie in diesem Absatz der Vorlesung erwähnt ist, den ich am 12. März schreibe. Und weil auch Gott gern an Schrauben dreht, hat sich die Liebesnot, die der Roman schildert, nicht zuletzt dadurch vertieft, daß der Romanschreiber an den Roman dachte, in dem er die Liebesnot schildert, während er die Frau umarmte, die er noch immer liebt. »Nur tut es meiner ganzen Biographie Schaden«, hat auch Jean Paul zu spät erkannt, »daß die Personen, die ich hier in Handlung setzte, zugleich mich in Handlung setzen und daß der Geschichten- oder Protokollschreiber selbst unter den Helden und Parteien gehört. Ich wäre vielleicht auch unparteiischer, wenn ich diese Geschichte ein paar Jahrzehnte oder Jahrhunderte nach ihrer Geburt aufsetzte, wie die, die künftig aus mir schöpfen werden, tun müssen.«
    Â»Aufgetakelt, wie Mama es

Weitere Kostenlose Bücher