Dein Name
morgen und übermorgen sehen.« Und an diesem Tage hackten sie ihm die Hände und FüÃe ab, am nächsten Tag hängten sie ihn, und am dritten Tag gaben sie seine Asche dem Wind. Bis in die allegorische Struktur des Dramas, bis in die zentralen Bilder, bis in die Verachtung der institutionalisierten Religion und ihrer Vertreter â »Hinweg! ich kann vor mir den Mann nicht sehn, / Der Heiliges wie ein Gewerbe treibt« â, bis in den Gegensatz zwischen dem schmutzig Wirklichen und dem sauber Korrekten, wirkt der Tod des Empedokles wie ein sufisches Lehrgedicht, wenn freilich Hölderlin vom Sufismus nicht viel wissen konnte, nichts wissen muÃte, weil es die Motivwelt aller mystischen Traditionen ist, die in vielen Sprachen und von vielen Ausgangspunkten, mit und ohne Gottesbegriff, als passive oder schöpferische Erfahrung auf das zielen, was die Nonne in Nuren Bergeh ethisch als Ergebung in Gottes Willen so schlicht wie ergreifend beschrieb. Christlich spielt das Moment in alle Entwürfe des Idealismus bis in die Negative Dialetik Adornos hinein. Es gab â ein kurzes Stück der Fäden â, es gab unter den Sufis alchimistische Zirkel oder Orden, die sich als Jünger des Empedokles bezeichneten. Hölderlin schöpft also tatsächlich aus derselben Quelle wie Sohrawardi oder Halladsch, die ihre physische Vernichtung als Fest begingen: »Tötet mich, o meine Freunde, / denn im Tod nur ist mein Leben, / und mein Leben ist im Sterben, / und mein Sterben ist im Leben.« Das ist auch das Thema von Hölderlins Drama, bereits im Titel hervorgehoben: sein Tod, aber nicht als Ende, sondern als Auflösung, nachdem die ursprüngliche Identität zerbrach. Empedokles bringt sich ja nicht einfach um: Er stürzt sich in einen Vulkan, vereint sich mit Gott als der Natur und gewinnt eben in der Vernichtung â ästhetisch: im Verstummen â die Einheit in letzter Konsequenz als Ewiges zurück: »Es gibt kein Ich auÃer mir«, wie Schihabuddin Sohrawardi im zwölften Jahrhundert das islamische Glaubensbekenntnis umformuliert. Hölderlins Drama bezeichnet bis heute gültig den Vulkanrand, an dem Dichtung vom Ich spricht, ob John Coetzee, John Berger oder István Eörsi, ob Wolfgang Hilbig, Rolf Dieter Brinkmann, Peter Kurzeck, Elfriede Jelinek, Ingo Schulze, Ruth Schweikert, Arnold Stadler und Navid Kermani, um nur diejenigen Selberlebensbeschreibungen unserer Jahre anzuführen, lesenswert oder nicht, die der Roman, den ich schreibe, bisher erwähnt. »Er lebt? ja wohl! er lebt! er geht / Im weiten Felde Nacht und Tag. Sein Dach / Sind Wetterwolken und der Boden ist / Sein Lager. Winde krausen ihm das Haar / Und Regen träuft mit seinen Tränen ihm / Vom Angesicht, und seine Kleider trocknet / Am heiÃen Mittag ihm die Sonne wieder, / Wenn er im schattenlosen Sande geht. / Gewohnte Pfade sucht er nicht; im Fels / Bei denen, die von Beute sich ernähren, / Die fremd, wie er, und allverdächtig sind, / Da kehrt er ein, die wissen nichts vom Fluch, / Die reichen ihm von ihrer rohen Speise, / Daà er zur Wanderung die Glieder stärkt. / So lebt er! weh! und das ist nicht gewiÃ!«
Unter den vielen Erlebnissen, die der Musiker am Samstag, dem 9. Mai 2010, um 20:45 Uhr anführt, ist ein interessantes, daà gerade Nahestehende am hilflosesten sind. Hilfe kommt, ja, durchaus, aber von verblüffender Seite. Der Herr, der das Treppenhaus des Musikers putzte, wuÃte und tat mehr als die, von denen der Musiker gemeint hatte, es erwarten zu dürfen. Einer nach dem anderen meldete sich nicht mehr, und die wenigen, die blieben oder sich neu fanden, sterben auch noch, gerade erst wieder jemand, gleiches Alter, genau die gleiche Krankheit, und gleichzeitig meldet sich ein andrer wochenlang nicht, bis jemand dem Musiker mitteilt, daà jener einen Autounfall hatte, wuÃtest du das nicht?, und schon wieder ein Grab, von der Fortdauer der physischen Schmerzen, der Schwäche wie Blei in den Gliedern, den allergischen Reaktionen gar nicht zu sprechen. Nachbeben nennt der Musiker das. Der Freund aus Köln kann sich schon vorstellen, warum sich viele nicht mehr meldeten, so eine Geschichte wie die des Musikers, die keine Besserung verspricht, bietet keinen Trost, um den es Tröstenden doch selbst geht. â Mit so etwas kehrt man nicht einfach zurück, meint der Musiker. â Du warst zu nahe dran. â Aber es ist
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