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auch befreiend zu begreifen, fährt der Musiker fort, daà das Gute nicht vergolten wird. â Nicht auf Erden vergolten wird, beharrt der Freund. â Komm mir nicht mit diesem Geschäft, weist ihn der Musiker zurecht. Als wolle er selbst die Stille vertreiben, die sein Tadel bewirkt hat, wiederholt der Musiker nach dreiÃig oder sechzig Sekunden, daà es wirklich befreiend sei, die Welt bi-wafâ zu sehen, wie er es auf persisch ausdrückt, ohne Treue. Treu zu bleiben, sei dann die eigene Entscheidung. â Das macht auch glücklich, Navid. Die Platte, die den Tod seiner Mutter und die eigene Passage bezeugt, ist nicht fertig geworden. Er hat sie dennoch dem Verlag geschickt, als er einsah, daà sie ihm nie gelingen würde, zwanzig Minuten, die er nie wieder hören wolle. Vielleicht ist sie gut, aber nur er selbst weiÃ, wieviel besser sie sein müÃte.
Am dichtesten an das mystische Erleben hat Hölderlin den künstlerischen Prozeà in einem Aufsatz herangeführt, dessen Titel von Meister Eckhart oder Baso Matsu stammen könnte: Das Werden im Vergehen : Der »sichere unaufhaltsame, kühne Act« besteht darin, daà »jeder Punkt in seiner Auflösung und Herstellung mit dem Totalgefühl der Auflösung und Herstellung unendlich verflochtner ist, und alles sich in Schmerz und Freude, in Streit und Frieden, in Bewegung und Ruhe, und Gestalt und Ungestalt unendlicher durchdringt, berühret, und angeht und so ein himmlisches Feuer statt irdischem wirkt.« Auflösung und Herstellung, Schmerz und Freude, Streit und Friede, Bewegung und Ruhe, Gestalt und Ungestalt, himmlisches statt irdisches Feuer â wahrscheinlich fände ich in dem Derwischorden, dem GroÃvater angehörte, und den Dichtungen, die er abends las, für jedes einzelne dieser Begriffspaare eine wörtliche Entsprechung. Ich fände sie wahrscheinlich überall, wo Mystiker die sichere, unaufhaltsame und kühne Erfahrung in Worte gefaÃt haben, vom eigenen Ich zurückzutreten, um darin das Allgemeine zu finden, sich ohne Intention in der Anschauung zu verlieren. Das Ich gilt, aber nicht mein Ich. Was Jean Paul empfand und Hölderlin besser beschrieb, ist nicht bloà ihr individueller, es ist ein allgemeiner oder idealer Moment innerhalb des poetischen Prozesses: ein einzelner zu sein und doch das Ganze in sich zu tragen, nichts zu werden und dadurch Gott. »Mein Innerstes schaut ohne mein Herz«, wie Halladsch sagt. Genug! In zwei Tagen muà ich die erste Poetikvorlesung halten und habe als Orientalist schon viel zu lang auf Analogien verwiesen, müÃte spätestens jetzt differenzieren, zwischen den mystischen Traditionen selbst, die sich erheblich voneinander unterscheiden, ob nun Taoismus, Zen, Sufismus, Kabbala oder deutsche Innerlichkeit, ja innerhalb ein und derselben Tradition so vielfältig sind, und dann natürlich noch deutlicher zwischen dem mystischen Erleben und der ästhetischen Produktion. Wenn schon, würde auch keineswegs der Sufismus naheliegen, um ihn mit der Literatur in Beziehung zu setzen, noch weniger die christliche Mystik. Deutlichere Entsprechungen fänden sich in den Texten des Zen-Buddhismus, insofern sie stets auf die Praxis weisen, nicht zuletzt die künstlerische. Daà unter allen deutschsprachigen Schriftstellern des zwanzigsten Jahrhunderts gerade Heimito von Doderer die Kunst des BogenschieÃens beherrschte â und das populäre Buch des Japanologen Eugen Herrigel kannte â, findet man in seinen Romanen bestätigt, die so unübersichtlich, haarsträubend konstruiert und überreich an Eindrücken sind wie die Romane Jean Pauls, wo sie sich selber schreiben. In den späten Fragmenten, die Hölderlin wieder und wieder bearbeitete, spürt man beim Vortrag körperlich, wie etwas anderes, absichtslos Entstandenes in die Verse eindringt. Man spürt es an den rhythmischen Sprüngen, den syntaktischen Zumutungen, den dauernden Rissen innerhalb einer einzigen Gedankenkette, der Auflösung linearer Zusammenhänge logischer und psychologischer Art, der Verselbständigung der Bilder, die wie von selbst in die eine und andere Richtung sich entwickeln. Insofern er Literatur und eben nicht mystische Praxis ist, verwandelt sich der Text nicht Gott oder einer etwaigen höheren Ordnung an, wie sie der Zen-Meister spüren mag, wenn die Bogensehne ohne sein Zutun, ohne daà er es gewollt
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