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Tatsächlich erinnerte sich die Ãltere am Abend an die iranische Fahne und den Jungen aus Norddeutschland, jedoch nicht, wo die Fahne geblieben. An die Kartoffeln und den Apfelsaft konnte die Ãltere sich ebenfalls erinnern, der Romanschreiber hingegen zunächst nur an die Kartoffeln, schon weil der Leser ihm am Mittwoch, dem 5. Mai 2010, weitere zehn Kilo, einen gewaltigen Sack ins Büro schleppte, dazu eine hausgemachte Wurst aus Lammfleisch, sozusagen eine muslimische Extrawurst. Und dennoch bedankte der Leser sich für das biÃchen Zeit, das der Romanschreiber ihm widmete, den Tee und das Bakhlava, aber der Romanschreiber hatte so viel zu tun, es ging wirklich nicht anders, er hätte nicht gewuÃt wie, da in sechs Tagen seine Vorlesung über den Zufall beginnt, für die noch so viel zu tun. Erst eine halbe, dann eine, schlieÃlich anderthalb Stunden nahm sich der Romanschreiber für den Leser aus Norddeutschland, ohne zu stöhnen. Wie unterschiedlich der Begriff von Zeit ist, je nachdem, ob man auf dem Land oder in der Stadt wohnt. Wenn der Romanschreiber im Bergischen Land war, hatte er nach dem dritten Tag auch plötzlich Zeit, gleich wieviel noch zu tun. Die Stadt, dachte er wieder, ist eine einzige Verschwendung. Er hätte den Leser in die Wohnung einladen sollen, ein festliches Abendessen wäre das mindeste gewesen als Dank, aber es ging einfach nicht, das Einkaufen, das Kochen, die Stunden am EÃtisch, und ehrlich gesagt hatte der Romanschreiber auch nicht mehr so genau gewuÃt, wie liebenswürdig der Leser aus Norddeutschland ist, er und ebenso seine Frau, die leider nicht nach Köln kommen konnte, weil sie vor kurzem ihr drittes Kind zur Welt gebracht hat, und natürlich die beiden anderen Söhne. Möge Gott ihre Güte vergelten.
Mit Blick auf das Pult, an dem ich in fünf Tagen stehen werde, gestatte ich mir am Donnerstag, dem 6. Mai 2010, um 20:30 Uhr, da die Frühgeborene schläft und die Ãltere ihre Hausaufgaben macht, wenigstens einmal in dem Roman, den ich schreibe, Theodor W. Adorno zu zitieren, von dem auch heute und zukünftig zu lernen ist, daà das Objektive, das sich in Kunstwerken vermittelt, nicht mit seinem Gegenteil verwechselt wird: dem psychologischen Vorstellungsschatz des Künstlers. »Der ist ein Element des Rohmaterials, im Kunstwerk eingeschmolzen. Weit eher sind die in den Kunstwerken latenten und im Augenblick durchbrechenden Prozesse, ihre innere Historizität, die sedimentierte auswendige Geschichte. Die Verbindlichkeit ihrer Objektivation sowohl wie die Erfahrungen, aus denen sie leben, sind kollektiv. Die Sprache der Kunstwerke ist wie eine jegliche vom kollektiven Unterstrom konstituiert, zumal die solcher, die vom Kulturcliché als einsam, in dem elfenbeinernen Turm vermauert subsumiert werden; ihre kollektive Substanz spricht aus ihrem Bildcharakter selbst, nicht aus dem, was sie im direkten Hinblick auf Kollektive, wie die Phrase lautet, aussagen möchte. Die spezifisch künstlerische Leistung ist es, ihre übergreifende Verbindlichkeit nicht durch Thematik oder Wirkungszusammenhang zu erschleichen, sondern durch Versenkung in ihre tragenden Erfahrungen, monadologisch, vorzustellen, was jenseits der Monade ist. Das Resultat des Werks ist ebenso die Bahn, die es zu seiner imago durchmiÃt, wie diese als Ziel; es ist statisch und dynamisch in eins. Subjektive Erfahrung bringt Bilder ein, die nicht Bilder von etwas sind, und gerade sie sind kollektive Wesens; so und nicht anders wird Kunst zur Erfahrung vermittelt. Kraft solchen Erfahrungsgehalts, nicht erst durch Fixierung oder Formung im üblichen Verstande weichen die Kunstwerke von der empirischen Realität ab; Empirie durch empirische Deformation. Das ist ihre Affinität zum Traum, so weit sie auch ihre Formgesetzlichkeit den Träumen entrückt. Das besagt nicht weniger, als daà das subjektive Moment der Kunstwerke von ihrem Ansichsein vermittelt sei. Seine latente Kollektivität befreit das monadologische Kunstwerk von der Zufälligkeit seiner Individuation.« Für die Vorlesung muà ich das Zitat kürzen, sonst wird es zur Digression und verliert man den Faden, es sei denn, die Idee kommt mir gerade, es sei denn, in der fünften und letzten Vorlesung, ohne vorher den Namen zu nennen, erklingt aus den Lautsprechern Adornos wirkliche Stimme. Die Ãsthetische Theorie ist ein Buch, aber vielleicht weià der
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