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Reihen stets wohlwollend nickten, aber der Poetologe befürchtet, selbst der Sonderfall eines Romanschreibers zu sein, der sich als Poetologe überbietet. Oder, schlug er dem neuen Verleger auf der AbschluÃfeier vor, oder wir fügen den Gattungsbegriff und einige narrative Elemente hinzu, Tod und Geburt am besten, dann wäre es ein Roman, der Poetikvorlesung heiÃt oder vielleicht nur Poetik , wenn das Wort Vorlesung abschrecken würde, und der ganze Abfall käme in den Eimer, in den er von Anfang gehört hätte, aber nicht gehört hat, damit der Poetologe sich am Pult behauptete, an dem Theodor W. Adorno natürlich nie im Leben gestanden hatte, wie der Germanist beteuerte, der die Formulierung im Einladungsbrief nur im übertragenen Sinn gemeint haben will, und einige Hörer dem Poetologen sogar schrieben, nicht nur HZ1 hochmodern, sondern der gesamte Campus erst gerade eröffnet, so daà Adorno nicht einmal seinen gesegneten Fuà drauf gesetzt. Vertrag hin oder her, wird immer reicher sein, was die Zuhörer sich unter dem Roman vorstellen, den ich schreibe, als was die Leser je in Händen halten, und poetologisch wäre es die beste Pointe, wenn es den Roman überhaupt nicht gäbe, über den der Poetologe fünf Vorlesungen lang so verheiÃungsvoll sprach. Aber es gibt ihn nun einmal, inzwischen ⦠besser nicht mehr die Seiten zählen, es deprimiert jedesmal, sich vorzustellen, daà alles umsonst war oder nur für ein Bändchen mit einer weiteren Poetikvorlesung gereicht hat, dessen Auflage geringer sein würde, wie der neue Verleger hinzuweisen sich beeilte, als die Seitenzahl des Romans, den ich schreibe. Noch bevor er eine lesbare Fassung erstellt hat, kann es nur noch darum gehen, in einer weiteren Bearbeitung die Enttäuschung zu mildern, so gut es noch gelingt, oder sich tatsächlich dazu durchzuringen, den Roman nie zu veröffentlichen, den ich schreibe, wie es anfangs beabsichtigt war, aber doch nie so gemeint. Wenn wenigstens der berühmte Schriftsteller einen Wink gäbe. Eitel genug ist der Poetologe, wie gesagt, um sich an ein paar höflichen Floskeln aufzurichten, aber nicht so eitel, um je wieder zu glauben, der berühmte Schriftsteller interessiere sich ausgerechnet für ihn.
In der Kneipe rasen die Freunde vor Begeisterung. Im Vergleich klinge selbst Vinyl wie ein Transistorradio, sagen sie und machen verzückte Gesichter. Es sei, als stünden sie im Studio, als seien sie Ohrenzeuge der Aufnahme selbst, der initialen Fügung, die für sie einer Offenbarung gleichkommt, da mit irdischen Mächten allein nicht zu erklären. Und dann erst die Extras, die die zehn Blu-rays böten, weil sie hundertmal so viel Daten speichern könnten wie ordinäre CD s, siebzig Gigabyte im Vergleich zu lächerlichen siebenhundert Megabyte, um genau zu sein wie die Freunde: Super-8-Schnipsel, Neil Young im Plattenladen oder an der Tankstelle, selbstverständlich sensationelle Aufnahmen legendärer Konzerte, ob Woodstock oder vor zwanzig Leuten im Hinterzimmer einer Kneipe, fünfzehn Minuten des letzten Springfield-Gigs, Riverboat! 1969 (nicht Canterbury 68!, verstehst du? 69! Riverboat!, wo immer Riverboat sein mag), Kindheitsphotos, Gebrauchsgegenstände, die für die Freunde längst Ikonen sind, Journey through the Past mitsamt der Werbetrailer, alle Liedtexte natürlich, handgeschrieben, Unmengen Links, da heutzutage jeder vierundzwanzig Stunden täglich bis China verbunden ist, entsprechend die Aussicht auf regelmäÃige Aktualisierungen und Erweiterungen, die Postkarte, die er der Mutter und die er dem Papa schickte, Radiogespräche, Fernsehgespräche, Selbstgespräche â und alles polyfunktional, sagen die Freunde und meinen damit, daà man »Broken Arrow« hören kann, während man ein Interview mit Neil Young liest, in dem er über »Broken Arrow« spricht, Photos betrachtet, auf denen er »Broken Arrow«spielt, oder sich über Rezensionen wundert, die seinerzeit zu »Broken Arrow«erschienen. Man kann aber auch »Broken Arrow«hören, während man sich durch alle möglichen anderen Texte, Bilder und Videos hangelt, so daà sich, stelle ich mir vor, ungeahnte Zusammenhänge, unerwartete Assoziationen und zufällige Kongruenzen ergeben wie in jeder Offenbarung, ob Bibel, Rumi oder Joyce, die man auf einer beliebigen Seite aufschlägt, um jedesmal
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