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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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Zustand gewußt, und habe den Tod gerochen. Man sage doch, daß die letzte Frage die sei: Wer bin ich? Seine letzte Frage sei gewesen: Was bin ich? Von welcher Wesenheit? Seine letzte Frage sei gewesen, ob Ich ein Ich sei. »Ich will einmal sterben wie ein Mensch«, wünschen sich bei Jean Paul nichts sehnlicher die Engel.
    Am 11. September 1825, da er einen Verleger fragt, wieviel er für eine Gesamtausgabe zahlen würde, berichtet Jean Paul nebenher: »Meine Selina wächset indeß […] zur Reife gar auf. 300 Quartseiten sind schon ganz geschrieben.« Anfang Oktober bricht die Todeskrankheit aus, »Brustwassersucht«, innerhalb von Tagen magert Jean Paul ab, am Unterleib und an den Füßen bilden sich Geschwülste. Die Angehörigen ahnen nichts Gutes, der Arzt blickt bedrückt. Am 21. Oktober gibt Jean Paul die Zusage für die Gesamtausgabe, sechzig Bände in einer Auflage von fünftausend Exemplaren für 35.000 Taler Honorar. Wie sein Zustand ist, beinah schon ganz erblindet, muß Jean Paul wissen, daß ihm die Ausgabe niemals gelingen wird, und beginnt dennoch mit der Arbeit, die bis heute niemandem gelungen ist. Wenige Tage später erblindet er vollends. Als erkläre er, warum der Roman federleicht wirkt, obwohl er wieder, sogar ausschließlich vom Tod handelt und nichts am Leben und Sterben beschönigt, sagt in Selina der Ich-Erzähler: »Selig ist, wer ich wie jetzo – nicht wie ich sonst, als ich noch die Ferne der Geisterwelt in umgekehrter Täuschung der Luftspieglung erblickte und das lebendige erquickende Wasserreich für Wüstensand ansah – sich seine Welt ganz mit der zweiten organisch verbunden und durchdrungen hat: die Wüste des Lebens zeigt ihm über den heißen Sandkörnern des Tags die kühlenden Sterne größer und blitzender jede Nacht.« Der allerletzte Text, den Jean Paul verfaßt, wohl Ende Oktober oder Anfang November 1825, ist ein Vorwort zu seinem ersten, Fragment gebliebenen Roman für die geplante Gesamtausgabe. So oft er es angekündigt habe, könne er das Fragment der Unsichtbaren Loge doch nicht vollenden, weil dreißig Jahre später »die vorigen Begebenheiten, Verwicklungen und Empfindungen« nicht »des Fortsetzens wert« erschienen, und zwar prinzipiell nicht. »Welches Leben in der Welt sehen wir denn nicht unterbrochen? Und wenn wir uns beklagen, daß ein unvollendet gebliebener Roman gar nicht berichtet, was aus Kunzens zweiter Liebschaft und Elsens Verzweiflung darüber geworden, und wie sich Hans aus den Klauen des Landrichters und Faust aus den Klauen des Mephistopheles gerettet hat – so tröste man sich damit, daß der Mensch rund herum in seiner Gegenwart nichts sieht als Knoten.« Die letzten überlieferten Worte, bevor Jean Paul am 14. November 1825 gegen 20 Uhr stirbt: »Wir wollen’s gehen lassen.« »Ich werde sein; ich frage nicht, was ich werde«, heißt es im Hyperion . Vielleicht kann man den Tod aus einer Haltung akzeptieren, die angesichts Gottes, des Universums oder der Übermacht des Zufalls das eigene Wollen aufgibt. Beinah zur selben Zeit, als Jean Paul im Sterben liegt, wohl im Oktober 1825, nicht weit entfernt schreibt Hölderlin aus seinem Tübinger Turm an die Mutter: »Da mich die Vorhersehung hat so weit kommen lassen, so hoffe ich, daß ich mein Leben vielleicht ohne Gefahren und gänzliche Zweifel fortseze.« Die Absätze, die in der zweiten Lebenshälfte Hölderlins entstehen, da alle Welt ihn für verrückt hielt, reißen mit, wo die Sprache aus dem Ruder läuft: »Es ist eine Behaup- / tung der Menschen, / daß Vortrefflich- / keit des innern Men- / schen eine interessan- / te Behauptung wäre. Es ist / der Überzeugung gemäß, / daß Geistigkeit / menschlicher Inner- / heit der Einrichtung / der Welt tauglich / wäre.« Genauso wie die Aphorismen grenzen die Gedichte an Nonsens. »Sommer« heißen sie oder »Winter«, manchmal auch »Frühling« oder »Der Mensch«, und meist beginnen die Verse gleichsam im Greisenschritt mit »Es« oder mit »Wenn«: Es kommt der neue Tag aus fernen Höhn herunter, Wenn aus dem Leben kann ein Mensch sich finden. Ich denke, ich verstehe, bevor ich mich frage, was eigentlich gesagt worden ist, außer daß die Berge grünen oder die Tage vorbeigehen mit sanfter Lüfte Rauschen. Ich lese

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