Dein Name
Winter immer wieder ein StoÃtrupp blau- oder rotuniformierter älterer Herren mit Spitzhut und Degen, eine Schar von Indianern oder eine Horde halbnackter Hunnen â Karnevalsgesellschaften. Von was leben die Händler, die in ihren überdimensionierten Läden alle die gleichen zwanzig Batterien für einen Euro fünfzig anbieten? Bestimmt nicht von den Batterien, wenn gleichzeitig die alten, gutbesuchten Fachgeschäfte eines nach dem anderen die steigenden Mieten nicht mehr bezahlen können. Die Völkerverständigung findet am Anfang und Ende des Viertels statt bei Humba und Täterä an vier langen Theken, an denen die erprobtesten Nutten Kölns bei immer offenen Fenstern mit dicken Deutschen genauso wie mit trunkenen Türken singen. Das sind die neuen Zentren, hinterm Kölner Bahnhof weit weniger aggressiv als anderswo, nein, oft sogar idyllisch übers Sagbare und hier Gesagte hinaus. Sie sind nichts weniger als rein. Sie haben mit der Geschichte des Ortes nichts zu tun, doch radieren sie die Geschichte auch nicht aus, schon gar nicht die zweitausendjährige von Köln. Als wollten sie den Namen Colonia auf seine wörtliche Bedeutung zurückführen, sind sie wie Kolonien von Fremden, aber von vielen unterschiedlichen Fremden, die sich auch gegenseitig fremd sind, wie sie in den Internetcafés zwischen zwei Sichtblenden sitzen oder in Gruppen vor den Callshops stehen. Oft denke ich, ob sie wohl ebenfalls nahe Tanger ins Boot gestiegen sind, nachts unterhalb einer Böschung, nur daà ihr Boot weder untergegangen ist noch abgefangen wurde â lauter Erfolgsgeschichten also, auch wenn sie immer noch zu fünft ein Zimmer teilen und Angst haben vor der Polizei? Iran neunzehn Cent, Türkei neun, Bangladesch vierundzwanzig. Das sind keine Randgesellschaften. Sie wabern aus von der Mitte der Stadt. Die Ränder sind es, die noch den Anschein der Gleichartigkeit wecken. Dort ist die Stadt aufgeteilt nach Einkommen. In der Mitte ist alles übereinandergestürzt. Ich gehe durch das Viertel, ich höre hier etwas Arabisches, dort Polnisch, links eine Sprache, die nach dem Balkan klingt, Türkisch sowieso, vereinzelt Persisch, das mich aufhorchen läÃt, sonst Französisch von Afrikanern, Asiatisch, Deutsch in den unterschiedlichsten Färbungen und Qualitäten. Ich verstehe die Hälfte nicht, wirklich die Hälfte. Und von der Hälfte, die ich verstehe, versteh ich meist nur die Hälfte, weil es schon wieder hinterm Fenster oder der Ladentür verschwunden ist, schlecht artikuliert oder zu weit entfernt, ich zu schnell vorbei oder die anderen zu schnell vorbei an mir. Ich führe die Sätze selbst zu Ende oder denke mir ihren Anfang, ich stelle mir Geschichten vor, die nicht in Deutz oder im Zweiten Weltkrieg spielen, sondern in chinesischen Provinzstädten, an nigerianischen Universitäten, in Booten, Containern und Abflughallen, in denen das Herz rast.
Jetzt erst, da er die Lektüre Jean Pauls und Hölderlins auf fünf Vorlesungen kondensiert hat, meint der Poetologe zu übersehen, was der Roman, den ich schreibe, wirklich leisten müÃte, um seinem Anspruch gerecht zu werden. Als er am Abend des 8. Juni 2010 zunehmend schlechtgelaunt die Gratulationen entgegennahm, überlegte er und deutete es dem neuen Verleger sogar an, nur die Poetik zu veröffentlichen. Vielleicht muÃte er diesen weiten Weg gehen, um eine Vorlesung zu halten, wie sie so konzis, so spannend, so vieldeutig seit Jahren keiner mehr in Frankfurt vortrug, wenn der Poetologe den Germanisten glauben darf, aber Lob glaubt der Poetologe grundsätzlich. Jean Paul und Hölderlin einmal beiseite geschoben, stimmt wohl, daà sich die meisten Dichter als Poetologen unterbieten, wie ihm die Germanisten auf der AbschluÃfeier erklärten: Die meisten wollten am Pult Fachgelehrte werden oder Poeten bleiben. Der Poetologe hatte den gleichen Eindruck gewonnen, als er zur Vorbereitung die Vorlesungen einiger Vorgänger las. Nicht einmal Ingeborg Bachmann oder Wolfgang Hilbig halten ihrem eigenen Werk stand. Andere plaudern aus, was ihnen bei der Arbeit alles durch den Kopf geht, teilen ihre Meinung zum Weltgeschehen mit, berichten von ihren Schreibgewohnheiten oder nutzen die Aufmerksamkeit, um private Rechnungen mit Kritikern oder Verlagen anzustellen. Die Germanisten sagten es nicht explizit, vielleicht denken sie es nicht einmal, die in den ersten
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