Dein Name
ich schreibe, die Szenen aus Grizzly Man aus der Erinnerung des unvorbereiteten Kinogängers ganz falsch wiedergibt und man keineswegs sieht, wie Werner Herzog über Kopfhörer das Band abhört, abbricht, »stop it!« schreit, »please stop it!«, und der Angehörigen des Bärenforschers, die es ihm vorgespielt hat, in dem bayrischen Akzent sagt: »Never never listen to this! You should destroy it. Please destroy it!«, wie man auch die Wohnung besser zerstören sollte, als daà eine Witwe sie allein betritt. Aber auch im Domfenster kommen die zweiundsiebzig Farben keineswegs gleich häufig vor, sondern einzelne Töne minimal öfter. Ãberdies hat Gerhard Richter nicht die gesamte Fläche einheitlich überzogen, sondern an wenigen Stellen Wiederholungen und Spiegelungen erzeugt. Und im MaÃwerkbereich merkte er, daà die Geometrie des Steines zu berücksichtigen war. Nicht einmal Gerhard Richter hat sich allein auf Gott verlassen, als er auf die Taste des Zufallsgenerators drückte. â Betet für mich, daà ich mich abfinden werde, sagte die Witwe, nachdem Navid Kermani am Telefon gebeichtet hatte, morgen nicht nach Kairo zu fliegen: Ich denke immer, er ist nur verreist. 23:25 Uhr und 23:24 Uhr. Allein ist mit dem Tod schon gar nicht zu verhandeln, merkt der Sohn, als den ihn Nasr Hamid Abu Zaid schlieÃlich auch bezeichnet hat.
Für ein paar Minuten verwandelt sich das Gespräch auf der Terrasse des Ferienhauses zu einem, in dem gesagt wird, was noch gesagt werden muÃ, damit es nicht wieder die Umstände erzwingen und verhindern â die Eltern beide um die Achtzig â, als er der Mutter erklärt, daà sie eine Liebesgeschichte geschrieben habe, die Geschichte einer groÃen, schwierigen Liebe. â Meinst du? â Ja, das meine ich. â Vielleicht hast du recht, sagt sie, ohne daà der Vater etwas sagt, vielleicht ist es so, vielleicht aus der Ehe eine groÃe Liebe geworden, obschon so schwierig, mit deinem Vater zu leben: wenn jemand wüÃte. Früher sagte sie stets: wenn ihr wüÃtet; seit einiger Zeit, wieviel Zeit?: wenn jemand wüÃte, als sei sie nicht nur von den Söhnen unverstanden, sondern allein auf der Welt vor Gott. â Ist Ihnen das eigentlich bewuÃt, Papa? Der Vater scheint über die Antwort nachzudenken. â Haben Sie Mamas Erinnerungen überhaupt gelesen? â Natürlich hat er sie gelesen, nimmt die Mutter die Antwort des Vaters vorweg: Jedesmal habe sie die beschriebenen Blätter auf dem Tisch liegenlassen, wenn sie spazieren oder einkaufen gegangen sei, und jedesmal habe er sie vollständig gelesen gehabt, wenn sie nach Hause zurückkehrte. â Woher wollen Sie das wissen? â Weil dein Papa Einwände erhob, wo etwas ihm nicht paÃte. Dann hat der Vater also gegen die Geschichte der ersten Liebe keine Einwände erhoben, geht dem Sohn durch den Kopf. â Wenn jemand wüÃte, nimmt die Mutter den Faden wieder auf, der sich durch jede ihrer Bilanzen zieht, selbst die Bilanz einer Geselligkeit, die sie drei Tage lang vorbereitete, eines Städtetrips, den die Söhne ihr zum Geburtstag schenkten, oder einer Theateraufführung, in welche der Jüngste sie schickte, wie erst die Bilanz ihres Lebens: In meinen Erinnerungen habe ich nur über unsere ersten Jahre geschrieben, aber danach ⦠â Ich habe ihr gesagt, wo sie besser nicht fortfährt, wirft der Vater schelmisch ein. Die Mutter freut sich, natürlich freut sie sich, daà der Sohn ihre Selberlebensbeschreibung vor dem Vater, der Frau und der Ãlteren noch einmal ausdrücklich lobt, und schimpft dann doch nur wieder, als wolle sie ablenken, auf die Lektorin, die der Sohn ihr in Teheran vermittelte, und das herausgeschmissene Geld. Nichts getan habe die Lektorin (deine Lektorin), das Manuskript Wort für Wort belassen, wie es war, und nur Tippfehler hinzugetan, sechs Seiten mit Tippfehlern, die die Mutter aufgelistet nach Teheran geschickt haben will, damit die Lektorin (deine Lektorin) sie korrigiert, danach wird sie (nur weil es deine Lektorin ist) ihr Geld dennoch erhalten, aber wenn jemand wüÃte. â Kein Vergleich zu GroÃvaters oder eigentlich Opas Memoiren, wie der Sohn ihn auf persisch nennt: Bâbâdjundjun , »Vaterseelchenseelchen«, mit dem doppelten Diminutiv, was der Sohn ungern zu drei Buchstaben staucht, so daà er im Deutschen beim
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