Dein Name
Schläger abholen, um Tennis zu spielen, als ich die Nachricht abhörte. Die böse Ahnung, wegen der ich schon mit dem Schläger in der Hand zurückrief, bestätigte sich. Abu Zaid war nach Ãgypten zurückgekehrt, nicht als Leiche, aber bewuÃtlos infolge einer Gehirnhautentzündung, die er sich in Indonesien zugezogen hatte. Weil ich nicht wuÃte wohin, ging ich dennoch Tennis spielen und verlor zweimal 0:6. Ich hätte hinfliegen sollen, aber seine Frau sagte, daà wegen der Art der Entzündung niemand anders ihn auf der Intensivstation besuchen dürfe, nicht einmal die Geschwister. Ich hätte dennoch hinfliegen sollen, um mich eben so weit im Hintergrund aufzuhalten, daà ich immer für ihn dagewesen wäre.
Das letzte Mal besuchten wir einander â wie beschämend festzustellen, daà es so lang schon her ist, obwohl Holland von Köln so nah â Weihnachten 2006, das wir bei der deutschen Schwiegermutter feierten, mit Braten und Tannenbaum und allem, was sich gehört. Seine Frau war in Kairo, wo sie ihre Vorlesungen wiederaufgenommen hatte, damit sie nicht ebenfalls ihre Rentenansprüche verliert. AuÃerdem, so betonte er gern, war seine Frau ganz unabhängig von ihm Professorin und sollte es bleiben. Wie so oft war er seit Wochen ganz allein gewesen in Holland, in irgendeiner Vorstadt von Leiden, wo er ohne Rentenanspruch lehrte, in einer kleiner Wohnung mit niederländischem Mobiliar und nach Jahrzehnten in der tumultuarischsten aller Städte endlich wieder so beschaulich wie einst in dem unterägyptischen Dorf, wie er mir seine Einsamkeit schönredete, und hatte nicht lang gezögert, als ich ihn nach Köln einlud. Das ist mein letztes Bild von Nasr Hamid Abu Zaid: Der Korangelehrte auf dem Sofa vor dem Weihnachtsbaum meiner deutschen Schwiegermutter, dankbar lächelnd.
Und der Gesang und das Geschrei und wie sie zusammenhängen? Dafür gibt es ja die Bücher, die des Meisters, des Schülers und das eine, das sie gemeinsam schrieben.
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Donnerstag, 8. Juli 2010, 21:23 Uhr auf dem Laptop und ebenso auf dem Handy, 21:26 Uhr und 21:25 Uhr inzwischen, weil sich nichts bewegt auÃer der Zeit. 21:27 Uhr und 21:26 Uhr. Welche Uhr wohl richtiger geht? 21:28 Uhr und 21:27, und jetzt ⦠21:28 Uhr, da ist die Uhr des Laptops schon auf 21:29 Uhr gerückt. Es kann nur ein Augenblick sein oder um genau zu sein zwei, drei Sekunden, in denen beide Uhren die gleiche Zeit anzeigen, jetzt etwa ist es auf der einen 21:31 Uhr, auf der anderen 21:30 Uhr. Beim nächsten Minutenwechsel achtet er darauf, wie lang es dau⦠21:31 Uhr auf dem Handy und schon, das hat nicht mal eine Sekunde gedauert, 21:32 Uhr auf dem Laptop. ⦠21:56 Uhr und 21:55 Uhr, nachdem die Ãltere anrief und ihn eine Viertelstunde mit dem Einkauf malträtierte, den er ihr für Köln versprochen habe, und in Florenz gebe es bestimmt nicht das gleiche Geschäft, klagte sie, obwohl es in Florenz exakt die gleichen Geschäfte gibt wie in allen Einkaufszonen des Imperiums, versicherte er, selbst in Kairo, hast duâs vergessen?, solche Themen, der Geburtstag der Klassenkameradin in der Kletterlandschaft, die ihn immerhin eine Viertelstunde lang davon abhielten, die Uhren zu vergleichen. Als Hausherrin eine Einsiedlerin aus Berlin mit hennagefärbten Haaren, die sich alle drei Tage einmal zeigt, Grubenklo auf der Terrasse, das die tief herabhängenden Zweige eines mächtigen Maronibaums verdecken, Campingdusche und ein Plastiksack, den man einige Stunden in die Sonne hängen muÃ, wenn man warmes Wasser will, achthundert Meter zum nächsten Haus, wo er abends um acht Ziegenmilch holt, zwei Kilometer zum nächsten Dorf, neun Kilometer zum nächsten Lokal, in dem er als einziger die Spiele der Weltmeisterschaft noch verfolgt, weil Italien für den Sieg büÃt, den es vor vier Jahren stahl â nur ein Augenblick vergangen auch seitdem oder ein Roman â, wohingegen diesmal Deutschland in den Strafraum florettierte wie bisher nur bei der Europameisterschaft 72, die zwei Jahre vor seiner Zeit lag und deshalb zum fundierenden Mythos seiner nationalen Nüchternheit: Wenn sie nur dribbelten wie damals mit wehenden Haaren um das Kapital, hielte er durchaus zu ⦠Erstmals in seinem Leben (aber es schaute ihm ja auch niemand zu) schrie er Tor!, Tor für Deutschland!, so sehr begeisterten ihn die höflichen Zwanzigjährigen,
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