Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
Vom Netzwerk:
kein Gedichtband, kein Roman, auf der Straße die Frauen im Tschador und, wie der Mutter einfallen wird, als der Sohn von seinem Grubenklo nahe Florenz berichtet, kein modernes Wasserklosett, sondern wie im neunzehnten Jahrhundert direkt über den Abwasserkanal hingehockt, die Schwestern des Vaters morgens zu viert eine halbe oder ganze Stunde in der Hocke am Plaudern, hock dich doch auch zu uns, aber sie muß nur kotzen, wohin nur?, und schon liegt das Erbrochene im Hof und ein Mann, den sie kaum kennt, irgendein Schwippschwager oder Großonkel beugt sich zu ihr: Kann ich Ihnen helfen? Lassen Sie mich doch alle in Ruhe, will sie schreien und flüstert nur: Danke, es geht schon. Die Mutter wird durchaus mit Hochachtung von den Verwandten des Vaters schreiben, vor allem von den Großeltern – laß die Wäsche besser liegen, rät ihre Schwiegermutter freundlich, wenn dein Mann sieht, daß du sie anfaßt, mußt du die Wäsche bis an dein Lebensende waschen –, aber zugleich festhalten, daß alle Konflikte der Ehe hier ihren Anfang genommen hätten und bis heute nicht gelöst seien, das Unverstandenfühlen, der soziale Unterschied, die widerstreitenden Vorstellungen vom Leben, damals auch seine nimmersatten sexuellen Gelüste, wie die Mutter offen bekennen wird, und daß der Vater ihre Wirklichkeit nicht anerkennen will oder kann: Es wird schon, so Gott will. Nein, nichts wird mehr mit ihrem Leben, denkt sie, schon vorbei ihr Leben, und sie nur ein paar Wochen gelebt.
    Der Kauf des ersten Hauses vollzieht sich nach dem Muster des Autokaufs – sorge dich nicht, es ist doch in Raten –, nur daß er diesmal zur Vorführung die Großmutter mitnimmt, seine Schwiegermutter, die ihn weiterhin für den idealen Ehemann hält, höflich, immer gutgelaunt und so strebsam. – Das ist aber ein schickes Haus, lobt sie und fragt, wieviel es kostet. – Lassen Sie das Geld meine Sorge sein, liebe Mutter, ich wollte nur sichergehen, daß es Ihnen gefällt. »Ich stand wie erstarrt daneben und verfolgte ungläubig die Unterhaltung. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, wie dieser Mann auf solche Gedanken kam, jetzt auch noch ein Hauskauf, als ob er nicht schon genug Schulden hätte für einen Studenten, der eine schwangere Frau hat und überdies seine Eltern versorgt, doch er lachte nur und schwatzte mit Mama, als rieselte das Geld bar aus seinen Ohren.« Das Haus wird gekauft und sofort zum bevorzugten Versammlungsort seiner erweiterten Verwandtschaft, die begeistert ist über die gutbürgerliche Nachbarschaft, die modernen Zimmer und all die Annehmlichkeiten bis hin zum Wasserklosett. Einmal – nur weil hier Großvater ins Spiel kommen wird, hat der Sohn den Abschnitt bis hierhin erzählt – wirft die Mutter sich einen bunten Tschador über, flieht aus dem Haus voll von seinen Verwandten, von denen sie wie gesagt nur mit Hochachtung schreiben wird, besonders von den Großeltern, aber ununterbrochen wünscht sich eine junge Frau, die hochschwanger ist, dauernd erbricht und sich Liebe wie im Fortsetzungsroman von Djawad Fazel vorgestellt hat, ununterbrochen wünscht sie sich keinen Marktplatz im Haus und keinen Durchgang im Zimmer. Einmal flieht sie mitten während der allabendlichen Geselligkeit seiner erweiterten Verwandtschaft, von der sie mit Hochachtung und so weiter, läuft heulend vor Wut und so schnell es ihr kugelrunder Bauch erlaubt quer durch Isfahan zum Haus ihrer Eltern: »Auf dem Weg legte ich mir die Worte einzeln zurecht, die meine schlimme Lage hinreichend deutlich beschrieben, überlegte mir genau, was ich sage und was ich besser nicht sage, und probte im Geist meinen Vortrag. So vorbereitet trat ich ins Haus meiner Eltern und hatte noch nicht richtig guten Tag gesagt, da sahen sie mir bereits an, wie es um mich stand. Mama reichte mir still ein Glas mit Kirschensirup, und Papa verließ, ohne auch nur eine Frage gestellt zu haben, den Raum. Ich hatte noch das Glas Sirup in der Hand, als er schon zurückkehrte und mich schweigend ansah. Er wartete, bis ich zu Ende getrunken hatte, und forderte mich auf, ihm zu folgen. Vor dem Tor war die Droschke vorgefahren. Ich wagte nicht, Papa anzusprechen. Er stieg auf, reichte mir seine vertraute Hand und nannte dem Kutscher meine neue Adresse. Auf der Fahrt sprachen wir nicht über das, was mich bedrückte, sondern nur über dieses und jenes.

Weitere Kostenlose Bücher