Dein Name
vielleicht meine wichtigste bis heute.
Ich achtete seine Gelehrsamkeit, bewunderte seinen Mut, aber vor allem vertraute ich ihm, vertraute auf sein reines Herz, ohne jemals in der zweiten Hälfte meines bisherigen Lebens auch nur eine Sekunde an seiner Lauterkeit zweifeln zu müssen, wie es sonst im Leben doch immer Sekunden gibt, in denen selbst die Liebsten Zweifel wecken. Daà auch er mir vertraute, wie einem Sohn, so sagte er, trug ich mit mir wie ein Siegel, nicht ganz unnütz geworden zu sein. Unsere Geschichte war ja erst am Anfang, meine erste Tochter noch lange nicht geboren, seine Frau, eine Frau Professor, wie er gern betonte, vorerst nur ein Name, die beiden noch nicht im holländischen Exil, wo wir sie jedes Jahr mindestens einmal besuchen wollten. Auch das Buch stand noch aus, das ein Kapitel über unsere Geschichte enthält, Stand 1998: drei, vier Tage lang befragten Chérifa Magdi und ich ihn im Arbeitszimmer unserer Wohnung, das wir zum Konferenzraum und Gästeapartment umgebaut hatten. Meine Tochter war eben erst auf die Welt gekommen und lag während der Aufnahmen oft bäuchlings auf meinen Oberschenkeln. Daà Neil Young bei Dreimonatskolik hilft, auch das konnte der Korangelehrte Nasr Hamid Abu Zaid bezeugen.
Er und seine Frau hätten es so viel einfacher haben können, hätte er sich nur wie andere mit den Zuständen arrangiert, mit den beiden Professorengehältern wenigstens ein Mittelklasseauto und eine Ferienwohnung am Mittelmeer oder mit einer Zweitstelle in einem der Emirate locker Limousine und gleich die Villa. Statt dessen fuhren sie im Kleinwagen täglich aus der Trabantenstadt anderthalb Stunden nach Kairo, seine Frau am Steuer plötzlich panisch, weil sie so schlank war und er so dick. Was tue ich? schrie sie, wenn jemand auf dich schieÃt, ich kann mich vor dich werfen, aber mein Körper bedeckt von deinem nur einen Schlitz. Andererseits bist du so dick, daà die Kugel in deinem Fett steckenbleiben könnte. Dann lachten sie, erzählte Abu Zaid im umgebauten Arbeitszimmer, und Chérifa und ich lachten mit, und ebenso meine Frau, die wir beim Abendessen mit den anrührendsten Geschichten unterhielten.
Er, der als Kind bereits den Koran auswendig beherrscht, später die Mutaziliten, die Mystiker, die groÃen Rhetoriker und die Poesie des Korans erforscht hatte, er wuÃte besser als alle, die ihn verfolgten, verteidigten oder im Westen vereinnahmten, was am Islam war, und hielt fest, als die Zeloten im Namen desselben Islam zu seiner Ermordung aufriefen, ihn und seine Frau vor Gericht durch drei Instanzen zwangsscheiden lieÃen und schlieÃlich aus dem Land vertrieben. Mir schien, daà er nicht einmal haderte. Ohne meine Frage recht zu verstehen, antwortete er: Als ihm der Boden unter den FüÃen weggezogen worden sei, habe er Halt doch gerade im Glauben gefunden. Nein, mit seiner Religion haderte er nicht, aber mit dem Land, das er liebte, wie jemand es vielleicht nur lieben kann, der im Dorf mit der Koranschule begann, in der Provinzstadt das Gymnasium besuchte, in die Hauptstadt zog, um als ältester Sohn die Geschwister zu ernähren und es als Professor bis an die altehrwürdige Kairo-Universität brachte, der sein Land also von oben bis unten kannte und sich immer als dessen Diener begriff. Die Religion, das waren die Schriften, der Prophet und die Heiligen, die nichts dafür konnten, was in ihrem Namen geschah. Das Land hingegen, das waren seine Mitmenschen und Kollegen, die sich mit Verhältnissen abfanden, in denen einer den anderen verketzerte, nicht irgendwelche Terroristen, nein, Anwälte und höhere Staatsbeamte, die das Scheidungsverfahren anstrengten, die namhaftesten Publizisten, die ihn zum Feind des Islam ausriefen, ohne auch nur ein Buch von ihm gelesen zu haben, Professoren der Azhar-Universität, die öffentlich seine Hinrichtung verlangten, eine Herrschaft, die sich gleichzeitig mit den Islamisten und den Amerikanern zu arrangieren versteht, nur nicht mit den Menschenrechten. Tief empfand er, daà sein Land ihm Unrecht getan hatte, und wollte, wie er im Arbeitszimmer sagte, nicht einmal als Leiche zurückkehren, ohne rehabilitiert worden zu sein, wie und durch wen auch immer.
Vor ein paar Wochen meldete sich nach Jahren wieder Chérifa Magdi auf dem Anrufbeantworter und bat um einen Rückruf. Bereits in Turnschuhen und kurzer Hose, wollte ich aus der Wohnung nur meinen
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