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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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Gefühligeres als im ersten Brief über Reh, Lilie, Gazelle und so weiter. Und wieder zwei Tage später ein dritter Brief, wieder zwanzig Seiten (wie die Mutter übertreiben wird) und des gleichen Inhalts. Die Mutter wird sich fünfzig Jahre später in ihrer Selberlebensbeschreibung nicht mehr erinnern, der wievielte Brief es ist, der zufällig Großvater in die Hände gerät. Sie wird nur bis an ihr Lebensende vor Augen haben, wie Großvater mit den vielen Blättern in den Händen die Halle auf und ab geht. Zwischen seinen Gott steh mir und vergib mir meine Sünden! poltert er, ob denn der junge Herr Doktor nach Europa gefahren sei, um etwas zu lernen oder um Liebesepisteln zu verfassen, so schwülstige obendrein. Das sei jetzt schon der soundsoundvielte Brief innerhalb weniger Tage, und sollten die übrigen genausolang sein, müsse man ja wohl annehmen, daß es mit dem vielgepriesenen Ehrgeiz des jungen Herr Doktor nicht so weit her ist: Wann, Gnädige Frau, studiert Ihr junger Herr Doktor Schwiegersohn, und wann besorgt er sich eine Arbeit?
    Â»lieber navid, es tut mir leid dir mitteilen zu müssen daß ich nicht so recht weiß ob ich dies jetzt gebrauchen kann … warum schreibst du über uns? wer soll das lesen? was soll das? / wenn ich deine durchaus subtil gelungenen schnappschüsse betrachte will ich jedesmal sagen warte da war noch dies und das … und auch so hat es sich angefühlt … und das hab ich dir noch gar nicht erzählt … da fiel noch dieses und jenes wort … und auch jene geste sprach für sich … ich schäme mich, soweit gegangen zu sein … was sollst du machen außer diese momentaufnahmen zu nutzen nach deinem bestem wissen und gewissen, gut, aber ich lebe in dem film und gebe zu nichts davon zu begreifen, wie du weißt hab ich es sehr bald aufgegeben, diesen dard ru dard [Schmerz über Schmerz] verstehen zu wollen … was tat mehr weh? … verlust, damoklesschwert, körperliches leid, wo sind sie nur alle hin? wo ist sie gerade? ach so, ja, musizieren kann ich jetzt auch nicht mehr … gut gut, ist schon gut, tag für tag … ratloses staunen war es was mich gehalten hat … das schweigen mit dem man beschenkt wird … auch dies ein geschenk: diese tiefe verletzbarkeit zu erkennen … um es auch selbst ausgeprochen zu haben: mein persönliches schweigen war nur damit meine mutter als mutter in frieden gehen kann … punkt … können wir endlich damit aufhören? nimm deine blöden schnappschüsse sofern wir uns einig sind daß die vielschichtigkeit solcher prozesse nicht mitteilbar ist, geschweige denn all die schönheit: befarmâ [bitte schön], hamineh ke hast [es ist, was ist] und hamineh ke hastim [wir sind, was wir sind], aber erlaube mir vorher eine stimme sprechen zu lassen die dir kein anderer leser schenken wird, dazu tu ich als ob wir uns nicht kennen würden, ein fremder spricht zu einem fremden … halt dich fest … … Sehr geehrter Herr Berichterstatter, gestatten sie … bitte erstatten sie mir unseren schmerz zurück … gestatten sie uns nicht so tun zu müssen als ob wir berichtbar sind … schicken sie mir unseren schmerz samt dem photo meiner mutter schnellstmöglichst zurück, ich übernehme gerne die unkosten … wir haben nichts in ihrem was auch immer kabinett verloren … gestatten sie mir diesen blick nicht in armselige buchstaben gefaßt sehen zu wollen … (ihre schakira oder wie auch immer diese ruhe heißt war da, ja, gezwickt hab ich mich aber auch oft genug um zu glauben was da abgeht, die fremdwörter machen es auch nicht besser …), übrigens, an jenem gründonnerstag flogen noch 3 weitere menschen von diesen wunderbaren jenseitsflughafen … über die sie gott sei dank nicht schreiben dürfen, die vier kerzen die vor den türen brannten sagten mehr aus als ihr gesamter roman … ja und in ihrem âh daß nach einem al verlangte bündelte sie viel goftani nist [es ist unaussprechlich], das gheyr-e ghâbel-e zekr [nicht erwähnbar] ihres verehrten großvaters, herr berichterstatter … ich spreche ungefragt auch für all die anderen die sie in ihrem roman benutzen, als seien sie leblos … und wenn ein anderer berichterstatter sich angesprochen fühlt soll er sich unbedingt angeschrieen wissen … in euer gewissen trommeln wir euch …

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