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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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da war noch soviel mehr … sovielvielmehr / schreiben sie das gheyr-e ghâbel-e zekr ihres verehrten großvaters über jedes kapitel ihres buches, nach jedem namen den sie tippen oder machen sie gheyr-e ghâbel-e zekr zu ihrem gebet, das wäre mal was neues …/ es grüßt sie ›der musiker‹ (wie sich das schon anhört, wie musisches gymnasium, eine krankheit oder heulsuse) den marsch blas ich ihnen einen orientalischen abmarsch auf ihre migrationsgeschichte / so jetzt kennen wir uns wieder … / was es allein legitimieren würde mir eine rolle zuzuweisen … wart’, ich trink ein glas wasser um runterzufahren … gut, was es einzig legitimieren würde ist, daß du ein freund warst … reinen herzens, wie du von hölderlin zitierst … was auch immer damit gemeint ist … du beherrschtest die kunst schlichten daseins … das was den meisten menschen so schwer fällt … warst weder schulterklopfer noch mitleider … auch wenn ich mich frage, ob ausgerechnet das nun, der roman, den du geschrieben hast, ob man so etwas noch freundschaft nennen kann … aber damit mußt du leben, Navid.«
    Obwohl die Mutter seit der Abreise des Vaters meist bei den Eltern übernachtet, ist nichts weiter über Großvater zu erfahren, vielleicht weil er die meiste Zeit in Tschamtaghi verbringt, wie sie in einem Halbsatz erwähnt; statt dessen wieder viel über Großmutter, in deren minutiös geregelten Alltag die Mutter sich als verheiratete Frau mit zwei kleinen Kindern nicht mehr einfindet, wann, von wem und wie genau der Tee zubereitet wird (nur von Großmutter selbst), wann die Familie zu Abend ißt (Punkt elf) und wann zu Mittag (wenn Großmutter gerade Hunger hat), was nachweislich die beste Vorbeugung gegen nachweislich alle Krankheiten ist (Wassermelonensaft, und zwar ausschließlich von Melonen, die sie selbst im Basar bei Händlern nur ihres Vertrauens eingekauft hat, gegen Magenbeschwerden außerdem Glanz-Rauke vor dem Frühstück), ihre Aversion gegen Arztbesuche und ihre fortwährend vorgetragene Behauptung, mehr von Medizin zu verstehen als alle Mediziner, und mag der junge Herr Doktor Schwiegersohn auch als Professor aus dem Land der Franken zurückkehren, dazu der Lärm, den der spätere Orthopäde und der spätere Internist ins Haus bringen. Ein ums andere Mal stören sie die heilige Mittagsruhe der Großmutter. Auch zermürben die Diskussionen über moderne Pädagogik, an der die Mutter sich zu orientierten bemüht, da Großmutter mehr von Pädagogik zu verstehen meint als alle Pädagogen. Schließlich vermißt die Mutter die Ausflüge im Landrover, die Geselligkeit unter Gleichaltrigen, die Stimme von Herrn Yurazadi und den Rotwein von Herrn Kiayanpur. Und ja, ihren Mann, meinen Vater, den vermißt sie wohl auch. Wenn Großvater je erführe, daß seine Tochter und der junge Herr Doktor aus der Theologenfamilie ihre freie Zeit bei Wein und Gesang verbrachten, wo ihn schon weit geringere Verfehlungen in Rage versetzen: »Eines Abends wollte ich mit meinen Schwestern und Cousinen nach langer Zeit wieder ins Kino gehen. Nachdem ich die Kinder gefüttert, gewickelt und schlafen gelegt hatte, verließ ich freudig das Haus. Gleich nach der Vorstellung kehrten wir nach Hause zurück und suchten quatschend und kichernd unseren Weg durch den Hof, als mit einem Mal Papas wütende Flüche aus dem Gebäude drangen. Und das war nur der Anfang! Auf der Terrasse erwartete er uns mit Steinen in der Hand, die er weiß Gott wie in der Dunkelheit gesammelt hatte. Noch nie im Leben hatte ich Papa derart aufgebracht gesehen, das runde Gesicht rot angelaufen, die Augen wie Blitze, sein ganzer Körper am Zittern. Er drohte uns und warf sogar zwei Steine in unsere Richtung, nicht so, daß sie uns treffen sollten, aber nah genug, daß wir uns hinter Bäumen in Sicherheit brachten. Wir fürchteten uns, und zugleich hörte ich, wie meine beiden Schwestern zu kichern anfingen, und konnte mich auch nicht mehr beherrschen, als ich Papa vor Wut auf der Terrasse auf und ab hüpfen sah in Pyjamahose und mit diesen Steinen in der Hand, die er nach uns warf, wohl wissend, daß wir uns längst in Sicherheit gebracht hatten. Von Mama erfuhren wir später, daß Papa vom Heulen der Kinder wach geworden war. Niemand war zu Hause gewesen, Mama einkaufen, die

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