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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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daß der Chef der Gesundheitsbehörde zu Fuß geht, während ich als Student ein acht Meter langes Cabriolet fahre. Ein Fünkchen Vernunft hat der Vater also doch.
    Die Geschichte der ersten Liebe hat noch einen Epilog, sieht der Sohn gerade, den er wenigstens angerissen haben sollte, bevor er zur Auswanderung gelangt und damit zurück zu Großvater. Der spätere Orthopäde und der spätere Internist beim Dienstmädchen, auf das die Mutter angewiesen ist, weil sie dem Rat ihrer Schwiegermutter folgend die Wäsche nicht anrührt, bummelt sie im blauen Kleid, das ihr unter allen das liebste ist, gutgelaunt durch Isfahan und entdeckt vor einem Schaufenster ihren früheren Geliebten. Er bebt, er will sie ansprechen, die Lippen öffnen sich, da dreht die Mutter sich um und flieht aus Sorge, seine leuchtendschwarzen Augen und die Worte wie aus dem Fortsetzungsroman von Djawad Fazel könnten sie noch einmal verzaubern. Zu Hause schließt sie zitternd die Tür hinter sich und nimmt ihre zwei Söhne in den Arm. Vom Dach aus entdeckt sie, daß der frühere Geliebte ihr bis in die Gasse gefolgt ist. Sie fürchtet, daß er ihr Herz hören könnte, so laut klopft es in ihrer Brust. Keine Stunde später, viel früher als während der Woche üblich, steht der Vater im Zimmer. »Zorn, Haß und Eifersucht blitzten aus seinen Augen. Er nahm mir das Kind aus dem Arm und trug es aus dem Zimmer. Dann kehrte er zurück und zerriß mein blaues Kleid in Fetzen. Anschließend zerrte er mir das schöne weiße Hemd vom Leib, das ich vom Bummeln noch trug, und zerriß es ebenfalls. Als dürfe er nicht mich beschimpfen, als sei nur die schöne Kleidung an allem schuld, trampelte er wie ein Wahnsinniger auf den Stoffetzen und belegte sie mit tausend Flüchen. Zitternd vor Angst hockte ich auf dem Bett, die Arme um die Knie geschlungen, ohne zu wissen, wie mir geschah und was mir noch geschehen würde. Er jedoch beruhigte sich und fing an zu weinen. Er küßte mich von Kopf bis Fuß und schwor, daß er mir mit seinen eigenen Händen ein noch schöneres Kleid, ein noch feineres Hemd nähen würde. An dem Tag ist er nicht mehr zur Arbeit gefahren. Wir blieben mit den beiden Kindern bis zum späten Abend im Zimmer, wir küßten uns, wir streichelten uns, wir weinten miteinander. Bis heute frage ich mich, wie er von der Begegnung erfahren hatte, die nicht länger als ein paar Sekunden gedauert, aber weder habe ich ihn je danach gefragt, noch hat er im Laufe unserer weit über fünfzigjährigen Ehe je von meinem ersten Geliebten gesprochen.« Die Selberlebensbeschreibung der Mutter hat der Vater gelesen und an dieser Stelle offenbar keine Einwände erhoben.
    Treffender Titel, meint der neue Verleger über den Roman, den ich schreibe , nur daß die meisten Leser am Roman interessiert sein werden und nicht, wie er geschrieben. Das Leben seines Großvaters möchte der neue Verleger nicht jetzt schon verwerfen, der sich unter der toskanischen Sommerlaube des Romanschreibers etwas Prächtigeres vorgestellt zu haben scheint als Campingdusche und einen Plastiksack, den man einige Stunden in die Sonne hängen muß, wenn man warmes Wasser will, nennt den Vorbehalt des Redakteurs elitär, läßt auch nicht am Gattungsbegriff Roman rütteln, der ja auch stimmt, und will alles ganz schnell haben, Erscheinen nun allerspätestens Herbst 2011, weil In Frieden , wie der Roman, den ich schreibe, seinetwegen heißen soll, ein Herbstbuch sei, schreitet mit gerade operierter Hüfte schief wie ein versehrter Feldherr durch den verwilderten Garten und entwirft für den Riesenknödel, wie er den Roman wieder nennt, den ich schreibe – warum nicht Der Riesenknödel als Titel? – eine Gefechtsanordnung, wie man die Armeen der handelsüblichen Bücher besiege. Zum Beispiel könne man die ersten zehntausend Exemplare, überlegt der neue Verleger und streckt querstehend den Arm zur Decke, so daß der Romanschreiber an die Anordnung der vier Personen zu einem Kreuz auf Caravaggios Martyrium Petri denken muß, zum Beispiel könne man die ersten zehntausend als Sonderausgabe mit bedrucktem Deckel statt Umschlag und farbigem Seitenrand herstellen lassen, was aufwendiger sei, als der Romanschreiber sich vorstelle, aber gleich nach Erscheinen zuverlässig die Leser aus ihren Stellungen hervorlocke, die sich wegen

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