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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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der Limitierung mit drei, vier zusätzlichen Exemplaren eindeckten, und wenn Der Riesenknödel erst einmal das Etikett trage, gut verkäuflich zu sein, läge er überall aus. Darum ginge es, das sei das erste Gefecht, das den entscheidenden Feldvorteil verschaffen könne, vergessen Sie das Fernsehen, vergessen Sie das Feuilleton, nein, daß der Riesenknödel in der mecklenburgischen Kleinstadtbuchhandlung genauso wie in den Buchhandelsketten gestapelt ausliege, denn dann frage sich jeder warum und wolle wissen, was dran ist. Der neue Verleger einigt sich mit dem Romanschreiber auf hundert Seiten, die mit grobem Gerät Woche für Woche bearbeitet würden, so daß die öffentliche Fassung etwa zum Jahreswechsel erstellt sei, für deren Feinschliff noch zwei Monate blieben, dann Korrektur und spätestens Anfang, allerspätestens Mitte März 2011 in den Satz, um rechtzeitig zur Vertreterkonferenz vorzuliegen, wenn auch der Vertreter aus Mecklenburg-Vorpommern begeistert werden müsse. Und das Papier!, nicht zuletzt an das Papier müßten sie denken und mindestens ein halbes Jahr im voraus bestellen, welches am schönsten aussehe, sich am besten anfühle und zugleich wenig wiege.
    Der Vater läßt die Mutter mit meinen beiden Brüdern in Isfahan zurück, um seinen Abschluß im Land der Franken zu erwerben. »Er hatte sich in den Kopf gesetzt, egal um welchen Preis und unter welcher Gefahr, es weiter zu bringen und erfolgreicher zu werden als alle anderen in seiner Umgebung. Was ihm für das Vorhaben zur Verfügung stand, war nichts als seine jugendliche Kraft, ein scharfer Verstand, unbedingter Fleiß, überbordender Ehrgeiz und ein halbes Medizinstudium. Was auf ihm lastete, war nicht nur die Verantwortung für eine vierköpfige Familie, sondern als einziger Sohn unter fünf Geschwistern außerdem die Versorgung seiner Eltern.« In Deutschland, so hat der Vater von Onkel Mahmud gehört, seinem Schwager, sei jeder willkommen, der mit anpacke, das Land wiederaufzubauen. Deutschland? fragt der Vater. Ja, Deutschland! schreibt Onkel Mahmud zurück, die Deutschen trügen die Nase nicht so hoch wie Franzosen oder Engländer, und ihre Ordnung sei einmalig. Aber Hitler? Ach, von Hitler rede niemand mehr, in Deutschland gebe es nur noch eine Ideologie, und die heiße: Arbeit, Arbeit, Arbeit. Der Vater hat Iran bis dahin nie verlassen, spricht keine andere Sprache als Persisch, kennt keinen Menschen im Land der Franken außer Onkel Mahmud, der in Aachen Maschinenbau studiert, während der Zulassungsbescheid, den Onkel Mahmud besorgt, auf eine Stadt namens Erlangen ausgestellt ist, die auf der Landkarte erst einmal gefunden werden will, und wie spricht man Erlangen überhaupt aus? Um seine Liebsten nachzuholen und weiter den Unterhalt seiner Eltern in Isfahan zu bestreiten, wird er sich möglichst schnell eine Arbeit besorgen müssen – nur wie, wenn er die Sprache nicht spricht, nicht einmal Englisch, und nebenher Medizin studieren soll? Keine zehn Tage sind seit seiner Abreise vergangen – mit dem Bus, wohlgemerkt, in Teheran und Istanbul umsteigen, weil das Geld für ein Flugticket nicht reichte, von München aus weiter mit dem Zug –, als der erste Brief in Isfahan eintrifft, fünfzehn Seiten, den er noch während der Fahrt schrieb, ohne auch nur mit einem Wort von der Fahrt zu berichten. Statt dessen klagt er sein Herzweh: Auf fünfzehn Seiten tötet ihn die Sehnsucht nach ihren Augen eines Rehs, dürstet er nach ihrem Mund einer Lilie, verzehrt ihn das Begehren nach ihrem Leib einer Gazelle, peinigt ihn das Verlangen nach … und so weiter. Zwei Tage später trifft der nächste, noch längere Brief in Isfahan ein, der nicht darüber Auskunft gibt, wie er sich in München erst zum Bahnhof, dann durch die zugige Unterführung mit den vielen eiligen Menschen zum richtigen Gleis durchschlug, wieviel Nerven ihn das Umsteigen in Nürnberg kostete, wohin er sich nach der Ankunft abends am gottverlassenen Bahnhof von Erlangen mit dem schweren Koffer in der Hand wandte, ob er sich am Fahrkartenschalter per Handzeichen die Richtung zur Universität zeigen ließ oder Gott sei gepriesen der Bahnhofsmission in die Arme lief, was er aß und wo er die erste Nacht verbrachte, wie er zum Akademischen Auslandsamt fand und mit welchen Gebärden er sich dort verständigte, dafür noch

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