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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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Dienstmädchen alle außer Haus und wir Kinder im Kino. Allein hatte er die Kinder aus ihren Betten geholt und sie beruhigt, bis Mama zurückgekehrt war und sie wieder zu Bett gebracht hatte. ›Du blödes Mädchen!‹ schrie er in den Hof, ›du nichtsnutzige Gans! Wie konnte Gott dir nur Kinder anvertrauen? Kinder zu haben setzt Würde voraus, Anstand und Schicklichkeit. Jawohl, Schicklichkeit, du hörst richtig, du dumme Pute! Du hast wohl nicht mehr alle Tassen im Schrank, dir einen dummen, nichtsnutzigen Film anzuschauen, während deine beiden Kinder allein zu Hause sind. Eine Frau, deren Mann verreist ist, hat nicht das Recht, ins Kino zu gehen, hat nicht das Recht, Spaß zu haben, hat nicht das Recht, abends die Kinder allein zu lassen. Eine Mutter, deren Mann nicht da ist, hat nur ein Kino, und das sind ihre Kinder, von wegen jede Nacht kichernd und lärmend durch die Straßen ziehen, ins Kino ziehen, zu Freunden ziehen, ich will gar nicht wissen wohin ziehen.‹ Mit Hilfe seines Gott steh mir bei und vergib mir meine Sünden, mit dem er die Terrasse murmelnd auf und ab ging, beruhigte er sich nach ein paar Minuten endlich. Ich sah, daß er den Tränen nah war, oder vielleicht weinte er auch schon. ›Verzeiht mir‹, rief er uns zu und schlurfte mit gesenktem Kopf ins Haus.«
    Zwei, drei Jahre, veranschlagen die Eltern, wird es dauern, bis der Vater sein Studium abschließt und als Assistenzarzt soviel Geld verdient, daß er die Familie ins Land der Franken holen kann. Keine vier Wochen dauert es, da fleht er die Mutter im Brief an, das Haus mitsamt der gesamten Einrichtung zu verkaufen und von dem Geld so bald als möglich nach Deutschland zu fliegen, er hielte es ohne Reh, Gazelle, Lilie und dergleichen nicht mehr aus. Wovon sollen wir leben? schreibt die Mutter zurück: Und wo wohnen? Und kannst du überhaupt schon die Sprache? Der Vater schwärmt von der Zivilisation der Deutschen, ihrer Sittlichkeit, ihrer Höflichkeit, ihrer Pünktlichkeit, ihrem Gerechtigkeitssinn, ihrem Fortschritt, der Vater erklärt, was Herrschaft des Gesetzes bedeutet, er schildert die Sauberkeit der Straßen, er beschreibt die mehrgeschossigen Häuser mit den modernen Wohnungen, alle Kanäle unterirdisch, alle Bürger versichert, Studenten und Gastarbeiter dringend gesucht, Mediziner zumal auf Händen getragen, die Krankenhäuser tipptopp, die Schulen kostenlos, und für die Kleinen habe es eigene Kindergärten, die es den Müttern ermöglichten, ihren eigenen Interessen nachzugehen: Vielleicht kannst du wieder studieren! – Aber es ist Winter, wendet die Mutter ein, und der Winter in Deutschland so kalt, hat mein Bruder gewarnt: Soll ich nicht wenigstens bis zum Frühling warten? Ach was, schreibt der Vater, in Deutschland seien sogar die Äcker und Plantagen überdacht, und die Straßen verfügten über Bodenheizungen, so daß sie immer befahrbar blieben, wie also erst die Häuser. – Die Straßen sind beheizt? – Ja, und die Städte außer mit den legendären Autobahnen auch mit lautlosen Expreßzügen verbunden, in denen die Deutschen von weichen Polstersesseln aus die weiße Landschaft genössen: Den Winter siehst du nur, du spürst ihn nicht, und jeder Zug verfügt über ein Restaurant mit weißen Tischdecken, das mußt du dir vorstellen, fahrende Restaurants! – Und Arbeit, Wohnung, Sprache? – Es wird schon, so Gott will. Unter normalen Umständen würde sie fragen, wie das gehen solle, zu viert ohne Einkommen, ohne Sprache, ohne Wohnung in Deutschland (wenn es wenigstens Frankreich wäre, ächzt Großmutter bei jedem Brief, den der Postbote ins Haus bringt, Paris!), die Mutter würde schimpfen wie sie über den Landrover geschimpft hat, über das neue Haus und das rote Cabriolet, zumal Onkel Mahmud am Telefon vorrechnet, daß eine vierköpfige Familie zum Leben mindestens zweitausend Mark benötige, im Monat!, und alle anderen Bekannten im Land der Franken, bei denen Großvater anruft, ebenso dringend warnen, die Mutter ziehen zu lassen, solange der Vater nicht das Studium abgeschlossen hat – und schon gar nicht im Winter nach Deutschland. Es ist die Aussicht, noch die nächsten zwei, drei Jahre bei ihren geliebten Eltern wohnen zu müssen, weswegen sie diesmal ihrem Mann zu folgen bereit ist: Verkauf alles und setz dich ins erstbeste

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