Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
Vom Netzwerk:
wie es das Motiv verlangt, verliert er nur die Frau, die er liebt.
    Â»Es sind überhaupt, Verehrtester, in unserer Biographie so manche Anstößigkeiten gegen den laufenden Geschmack – vom Titel an bis zu den Überschriften der meisten Kapitel –, daß man ihn wohl mehr zu versöhnen als zu erbittern suchen muß. … Unsere Biographie soll doch, der Sache, der Kunst, der Schicklichkeit und dem Testamente gemäß, mehr zu einem historischen Roman als zu einem nackten Lebenslauf ausschlagen; so daß uns nichts Verdrüßlicheres begegnen könnte, als wenn man wirklich merkte, alles sei wahr. Aber alle diese Noten stören die Verehrung nicht, womit ich ewig etc. / Kuhnold« »Vor dem Erraten der wahren Namen unserer Geschichte dürfen wir, Hr. Bürgermeister, uns nicht ängstigen, da bisher für keine von allen Städten, die ich in meinen vielen Romanen abkonterfeiet habe, der Büschingische Name ausgespähet wurde, ungeachtet ich in einigen davon selber wohnte, sogar z.B. in Haelwebeemcebe und Efgeerenengeha. … Wahrlich Sie, verehrlicher Stadtrat, sind glücklich und erfahren nichts von den Vater- und Mutterbeschwerungen erträglicher Autoren. Sie als Menschen stehen sämtlich unter dem herrlichen Satze des Grundes, und der Freiheit dazu, und alles, was Sie nur machen oder sehen, bekommen Sie sogleich schon motiviert –– Aber Dichter haben oft die größten Wirkungen recht gut fertig vor sich liegen, können aber mit allem Herumlaufen keine Ursachen dazu auftreiben, keine Väter zu den Jungfernkindern. Wie ihnen dann Kritiker mitspielen, die weniger mit als von kritischem Schweiße – der hier die Krankheit, nicht die Krisis ist – ihr Brot verdienen, wissen der Himmel und ich am besten. / Der ich verharre etc. etc. / J.P.F.R. «
    Um etwas anderes zu tun, als auf den Laptop zu starren, verfällt der Romanschreiber auf die Idee, einfach die erste Seite des Romans nachzuahmen, den ich schreibe, und beginnt damit, daß es Dienstag ist, der 24. August 2010, 14:11 Uhr auf seiner Allmacht, die etwa eine Minute vorgeht, also 14:10 Uhr ungefähr oder, da er diesen Satz noch schreibt, doch schon 14:11 Uhr. Jetzt müßte er festhalten – oder spinnt er? –, was er gerade in diesem Augenblick tut, und wundert sich, daß er im zweiten Satz des Romans, den ich schreibe, sofort zur letzten, für ihn relevanten Tätigkeit überging. Ach, richtig: Daß er nicht mehr nur auf den Bildschirm starrt, sondern auf der Tastatur tippt, ergibt sich von selbst, fällt ihm ein, so daß er fortfährt, vorhin, genau gesagt: bevor er den Laptop aufklappte, einen Salat mit Ziegenkäse zu Mittag gegessen zu haben, während er drahtlos das letzte Interview mit François Truffaut verfolgte: »I was thinking of films like – no, I don’t want to give negative examples. I’m not a critic anymore. Suffice it to say that I was thinking of films where you could put the following in the opening credits: ›Any resemblance to real life is purely coincidental.‹ These are films where everything is false.« Das Interview – ach, was François Truffaut im letzten Interview außerdem sagte, würde schon zu weit führen, zu einem Thema, einem bereits eingeführten Motiv vielleicht und also für den Romanschreiber weiter weg als die eigene Wohnung, in der die Frau gerade Kisten packen dürfte, die Kinder bei den Großeltern, um ihnen den Anblick zu ersparen. Lieber fährt er fort, was als nächstes ansteht, ob nun in einer halben Stunde das Heilige wie auf der ersten Seite des Romans, den ich schreibe, oder überhaupt noch am heutigen Tag, allein, da hat er schon das Problem, da steckt er schon fest, da müßte er seine Allmacht schon wieder zuklappen, weil überhaupt nichts ansteht und auch der Salat mit Ziegenkäse nur als relevant im animalischen Sinne gebucht werden durfte. Keine einzige Kirche hat er in den zwei Monaten besucht und schon gar nicht Florenz, schafft es nur achthundert Meter zum nächsten Haus, wo er abends um acht Ziegenmilch holt, zum Einkaufen zwei Kilometer zum nächsten Dorf und während der Weltmeisterschaft neun Kilometer zum nächsten Lokal. Die Tage verbringt er, wenn er sich nicht vergebens bemüht, mit der öffentlichen Fassung zu beginnen, indem er das Set aus Wiesen, Kühen, Bäumen, Eseln, Bach und Wäldern betrachtet, auf

Weitere Kostenlose Bücher