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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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Sonnensystemen, sie sehen einander herübersprechen durch ferne Zeichen, sie hören endlich die Stimmen über die Hügel herüber – aber sie berühren sich nie, und jede umschlingt nur ihren Gedanken. – Und doch zerstäubt diese arme Liebe wie ein alter Leichnam, wenn sie gezeigt wird; und ihre Flamme zerflattert wie eine Begräbnislampe, wenn sie aufgeschlossen wird.‹ / Sind wir denn alle nicht glücklich? – Bejah’ es nicht! – Ach der Mensch, der schon von der Kindheit an nach einer unbekannten Seele rief, die mit seiner eignen in einem Herzen aufwuchs – die in alle Träume seiner Jahre kam und darin von weitem schimmerte und nach dem Erwachen seine Tränen erregte – die im Frühling ihm Nachtigallen schickte, damit er an sie denke und sich nach ihr sehne – die in jeder weichen Stunde seine Seele besuchte mit so viel Tugend, mit so viel Liebe, daß er so gern all’ sein Blut in seinem Herzen wie in einer Opferschale der Geliebten hingegeben hätte – die aber ach nirgends erschien, nur ihr Bild in jeder schönen Gestalt zusandte, aber ihr Herz ewig entrückte –– endlich, o plötzlich, o selig schlägt ihr Herz an seinem Herzen, und die zwei Seelen umfassen sich auf immer –– er kann es nicht mehr sagen, aber wir könnens: dieser ist doch glücklich und geliebt …« Neben allen anderen Einwänden könnte sie im Roman, den ich schreibe, die Sorge umtreiben, daß er auf keinem Podium mehr auftreten kann, wenn er sich als so geldgierig und zynisch zeichnet wie in der lesbaren Fassung, seine bürgerliche Existenz ruiniert und sogar die Freunde ihm zürnen werden, die Witwe von Karl Otto Hondrich vor allem und erst recht die Familie von Nasrin Azarba, weil er sich darin ruchloser darstellt, als er sich in Wirklichkeit gefühlt. – So berechnend bist du doch gar nicht! riefe sie immer wieder und zählte auf, wofür er sich ohne Nutzen, Ansehen und Honorar einsetze. – Es war notwendig, die Ambivalenz des Vorgangs darzustellen, würde er im Roman erklären, den ich schreibe, egal, wie stark ich selbst die Ambivalenz spürte: Wie in den Sekunden der größtmöglichen Nähe und Mitmenschlichkeit, die nicht möglich wären ohne ehrliches Erbarmen, und zugleich mitgefilmt werden, mitgefilmt werden sollten, verwendet ohne Skrupel, ist ein Berichterstatter, der den Krieg nur ablehnt, literarisch nicht so ergiebig wie einer, der zugleich dankbar ist für jedes Gemetzel. – Aber die Leute werden denken, daß du es bist. – »Licht meiner Augen«, würde er antworten, wenn auch in anderen Worten, die Werke sind niemals unabhängig von den Absichten zu betrachten, mit denen sie verrichtet werden. Wenn jemand etwas mit guter Absicht tut und nichts anderes möchte, als seinen Nächsten zu dienen und Gott zu erfreuen, können die anderen Menschen denken, was sie wollen, es wird das Wesen seiner Tat nicht verändern. Es ist nicht wichtig, was sie sehen, sondern was Gott sieht. – Und sie werden denken, daß du mich so gesehen hast. – Denkst du es? – Nicht mehr. Niemand ist am Mittwoch, dem 9. August 2010, um 19:31 Uhr vor dem Fenster außer den Kühen und allen drei Eseln. Den Tod kann er nicht nach Bedarf einfügen, alles im Roman, den ich schreibe, bis auf den Tod. »Und immer / Ins Ungebundene gehet eine Sehnsucht. Vieles aber ist / Zu behalten. Und not die Treue.«
    Es folgt der schwindelnde Flug mit den beiden schreienden Brüdern, der wegen Schneesturms nach Istanbul umgeleitet wird, das Wiedersehen in Amsterdam und die Wahrheit über die Bodenheizung. – Schau mal, sagt der Vater, als die Mutter sich bibbernd nach den beheizten Straßen erkundigt, von denen er im Brief schrieb, schau mal dort, und weist auf den Dampf, der aus einem Gully steigt. Die Mutter hält die Hand in den Dampf, dessen Gestank nur die erste von vielen Enttäuschungen bereitet, die zweite todmüde bei der Ankunft in Erlangen das Zimmer ohne Bad hinter einem Lebensmittelladen, das anzumieten der Vater Hausmeisterdienste übernommen hat bis hin zum Putzen. – Wir machen’s zusammen, gelobt er der Mutter. Als sei es im deutschen Winter zu Eissäulen erstarrt, verharrt das ältere Ehepaar, dem der Laden gehört, wort- und reglos, als die Mutter die Hand zur Begrüßung über die Theke ausstreckt und »Guten

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