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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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Frau Gollwitzer, wenn ich die persischen Buchstaben richtig lese. Nach zwei Wochen beginnt Frau Gollwitzer vom Dritten Reich zu erzählen, das erst dreizehn Jahre vorbei ist und bereits so lange Geschichte, beginnt mit dem enteigneten Geschäft ihres Mannes in Berlin und fährt fort mit allem, was bis hin zum Lagertod des Mannes folgte, später Flucht, Bomben, Hunger, so kurz ist es her. Auf den Fahrten zwischen Italien, Spanien und Deutschland überdeckte auf ungefähr anderthalbtausend der grob geschätzt fünftausend Kilometer eine Hörspielbearbeitung des Echolots das Schweigen auf den Vordersitzen mit O-Tönen vom Ende des Weltkriegs, angesichts deren das Ende zwischen den Vordersitzen sowieso läppisch erschien, aber auch die Stunde Null der Eltern, die in den Erzählungen der Mutter und jetzt wieder in ihrer Selberlebensbeschreibung stets etwas Episches hatte, weil sich Wohlstandskinder wie der Sohn das Wagnis nicht mehr vorstellen könnten. – Mit zwei kleinen Kindern im Hinterzimmer eines Lebensmittelgeschäfts, das sie putzten, fingen meine Eltern in Deutschland an, kläfft der Sohn den Redakteur der Talkshow an, der ihn schon fürs Minarettverbot buchen wollte, und zählt die Doktortitel aller vier Söhne auf: ein Orthopäde, ein Internist, ein Ophthalmologe und der Jüngste Mitglied der Deutschen Akademien Rom und für Sprache und Dichtung, wenn Sie’s genau wissen wollen. – Deshalb möchte ich doch gerade Sie in der Sendung haben, erklärt der Redakteur: als positives Beispiel. Leck mich am Arsch, murmelt der Sohn unterm Marronibaum und schmeißt das Handy in die Grube, um nicht auch noch mit Großvaters Reise zu prahlen: hundert Euro für ein neues ist die Erleichterung allemal wert. »Ist es nicht das Selbstverständliche, daß man dort weggeht, wo man so gehaßt wird (Zionismus oder Volksgefühl ist dafür gar nicht nötig)? Das Heldentum, das darin besteht, doch zu bleiben, ist jenes der Schaben, die auch nicht aus dem Badezimmer auszurotten sind.« Die ganze Zeit fragte er sich, ob er die Absätze über Kafka, die ziemlich weit am Anfang stehen, nicht doch streichen solle, der Roman so schon zu lang, den ich schreibe, Jean Paul und Hölderlin Zeugen genug und Kafka nicht weitergeführt. Als müsse die Mutter für die Trübsal büßen, die der Sohn hinterm Lenkrad blies, dachte er beim Hören der O-Töne vom Ende des Weltkriegs, daß ihre Auswanderung so dramatisch nun auch wieder nicht gewesen sei, sondern eine Butterfahrt im Vergleich zu dem, was die meisten Deutschen dreizehn Jahre zuvor erlebt hätten, wie erst im Vergleich zum Zeugnis, das Frau Gollwitzer auf der Parkbank abgelegt. Die Mutter solle mal nicht soviel Aufhebens machen. Unterbewußt legte der Sohn sich nur eine weitere Begründung zurecht, warum ihre Selberlebensbeschreibung dem Roman, den ich schreibe, nur sofern angehört, als sie von Großvaters Leben erzählt. Dabei müßte der Sohn wenigstens die übrigen Momente der Not, Erniedrigung, Angst und Enttäuschung anführen, die hinter den Eltern lagen, als die Großeltern in Frankfurt landeten, aber Großmutter enttäuscht war, wie ärmlich alles, eng wie in einem Gefängnis. Es bereitet ihm schon Mühe genug, vor dem Bildschirm sitzen zu bleiben, weil ihn die eigene Not, Erniedrigung, Angst und Enttäuschung jetzt erst so übermannt, wie er es auf den ersten Seiten des Romans, den ich schreibe, nur behauptete, um dem Motiv der Seelenreise zu genügen, denn im Sommer vor vier Jahren konnte, nein mußte er wenigstens noch schreiben, wohingegen diesen Sommer ihm zwischen diesem und dem vorigen Absatz zwei Wochen lang keine Zeile gelang, obwohl die Frau gesund ist und die Trennung für den 1. September 2010 gegen zweieinhalb Monatsmieten Courtage vertraglich vereinbart, sie die gemeinsamen Kinder bis dahin allein versorgt, die Selbstzweifel mit der Aussicht auf Platz eins in der Vorschau, Fernsehauftritte und Werbeständer in den Auslagen der Buchhandelsketten, die der neue Verleger ihm versprach, längst nicht so tief greifen, wie es während der Poetikvorlesung schien, er nahe Florenz keine Lohnarbeiten annehmen muß und nur solche Termine die Tage zerstückeln, die Gott festlegt. War schon seine Not die allergewöhnlichste, scheint auch die Auflösung nichts weniger als Frieden zu bringen. Statt sich in Gott zu verlieren,

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