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meinte sie Lungenfische, also diese Fische, die auch Lurchfische genannt werden, wie ich beim Nachschlagen des Wortes »Lurch« erfahre ⦠aber nein, der Lungenfisch heiÃt auf englisch lungfish und ist definitiv nicht das Wort, das die Sängerin benutzte. Lange vor der Zeit â ich kann mich nicht erinnern, daà sie eine derartige Formulierung benutzte, aber es liegt nahe â, lange vor der Zeit lebte ein Paar oder eine Kleinfamilie von Kleinstlebewesen, schreibe ich einfach mal, Amöben vielleicht, winzige Fische oder stupsige Würmer, womit ich womöglich doch wieder bei den lure wäre, Ködern, lange vor der Zeit lebten die ersten Lebewesen, eine kleine Familie, sie lebten glücklich im Raum, lange vor der Zeit, der unendlichen Sphäre. Nichts gab es, nicht Wasser, nicht Land, keine Fragen, keinen Kummer. Nach langer Zeit, die vor der Zeit nicht zu bemessen gewesen sein wird, ereignete sich etwas, das erste Mal, das sich überhaupt etwas ereignete in ihrem Leben: Jemand starb, der Vater. Die Familie von Amöben, Amphibien oder Würmern fragte sich, was sie mit dem Vater tun solle. Es gab nichts, wo Amöben, Amphibien oder Würmer den Vater hinlegen, hinstellen, geschweige denn begraben, versenken, aufbewahren oder verstecken konnten. Es gab nur den bloÃen Raum, the sphere , wie die Sängerin mit Sicherheit sagte. Aber der Vater muÃte irgendwohin. Die Hinterbliebenen schauten sich betroffen an. Da nahm der Sohn den Vater auf den Rücken und trug ihn mit sich fortan, die Amöbe die Amöbe, die Amphibie die Amphibie oder der Wurm den Wurm. Und die Zeit begann.
»Denn wir alle wissenâs doch im innersten Gemüte«, verlacht der Trinkspruch den Romanschreiber, der Verlegern noch immer ihre Versprechen abnimmt, »daà jene, dieâs zu was gebracht haben und aus denen was geworden ist, allermeist zu den schlechthin Widerlichsten gehören, damitâs endlich einmal ganz klipp und klar gesagt ist.«
Zwei Mädchen, vierzehn, fünfzehn Jahre alt, möchten telefonieren. DrauÃen spielt eine Blaskapelle, was man vielleicht schwungvoll nennt. Gäbe es einen Text, käme darin Paloma vor oder Margerita oder am Strand von. Die beiden Telefone sind besetzt. 12:59 Uhr auf der Allmacht, also früher, Sonntag, 19. September 2010. Noch ein Mann, Italiener, vermutet er, die dichten grauen Haare entlang des Scheitels elegant zurückgekämmt, betritt den Wohnwagen, von dem aus man zehn Minuten kostenlos telefonieren darf und anschlieÃend mit mir ins Gespräch kommen soll, der live bloggt: soziale Kunstinstallation, der Künstler ein Spanier, die Galeristin aus München, das Geld von der Europäischen Union. Eine Deutsche, die in Kassel angerufen hat, verläÃt die Kabine. Die Galeristin ist mit dem Standort vor dem Porzer Rathaus unzufrieden. Sie hatten wohl einen Platz gedacht, wo es auch mal knallt zwischen den Kulturen, so was wie Chorweiler oder hinterm Bahnhof. Die Stadtverwaltung dachte an ihr interkulturelles Bürgerfest im Kölner Vorort. Ich selbst bin nicht unglücklich, weniger kommunizieren zu müssen, als ich erwartet hatte, fühle ich mich doch mit Kommunikation prinzipiell überfordert. Eine Frau, Lehrerin wohl, die als ehrenamtliche Helferin des Vereins für die Städtepartnerschaft KölnâBarcelona vor dem Wohnwagen die Flyer des Projekts verteilt, redet auf mich ein, daà meine iranischen Landsleute so gern schreiben würden, das fände sie so toll, das müsse ihnen im Blut liegen â wie ich mir das erkläre? Ich irritiere sie nicht mit dem Hinweis auf die Sprache, in der meine Bücher geschrieben sind. Endlich, der erste Angehörige der Zielgruppe, ein Ausländer, Italiener?, Grieche?, tritt aus der Telefonkabine und kreuzt auf der Landkarte, na was?, na was? Rom, Athen?, Regensburg an. Die Galeristin schaut konsterniert. Eine Dokumentarfilmerin filmt, wie ich in der Sitzecke bis nach China verkünde, daà ich von einer Dokumentarfilmerin gefilmt werde. ⦠Die Erfolgsgeschichte einer Familie aus WeiÃruÃland, Kontingentflüchtlinge. Dumme Leute hat es überall, sagt der Vater, als ich ihn auf Probleme anspreche, Anfeindungen. Die Mutter betont, daà der Sohn noch andere Sprachen als Deutsch und Russisch beherrsche, Französisch und Spanisch. Nun gut, sagt der Sohn, mit dem Spanischen, das sei nicht so groÃartig, bei zwei Stunden die Woche
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