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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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vorstellen, einen preußischen Nazi, einen österreichischen Nazi, einen sächsischen Nazi – aber ein kölscher Nazi ist jedenfalls klanglich ein Widerspruch in sich selbst, ein idiomatischer Selbstverräter, so oft es ihn gab. Das ist jetzt Nostalgie pur, er weiß schon und verspricht, sich lokalpatriotische Äußerungen fortan zu verkneifen, damit er In Frieden nicht vollends in die Jemüthlischkeit abdriftet, zumal die Kölner Nazis besonders schlimm wüteten, wenn so ein Schrecken überhaupt Steigerungen zuläßt. Er kam nur darauf, weil er den Schreiner hörte und Konrad Adenauer und gestern außerdem einen Proleten, der über die halbe Gasse hinwegbrüllte beim Vorübergehen, aber eben auf rheinisch brüllte, so langsam und singend, wie nur Rheinländer brüllen können, und da mußte der Nachbar sich einfach freuen, wo er sich in München oder Berlin oder Leipzig erschrocken hätte, wenn jemand so herrisch auf der Straße brüllt. Und der Schreiner spricht ein besonders langsames, ein besonders weiches Rheinisch. Ich kann es nicht Kölsch nennen, genausowenig wie die Sprache Adenauers, weil sie im Gespräch mit Zugezogenen relativ wenige Dialektwendungen verwenden. Es ist die Melodie, die den Nachbarn so sehr verzückt, daß er noch zwei weitere Monate warten würde, wenn dafür die Aussicht bestünde, daß der Schreiner den Umbau übernimmt. Er übernimmt ihn nämlich erwartungsgemäß nicht, da ihm die Arbeit zu anstrengend wäre. Schließlich ist er bereits achtundsiebzig Jahre alt, wie er noch einmal in Erinnerung rief. Er empfahl ohnedies, die Küche zu lassen, wie sie ist, und den neuen Kühlschrank einfach auf die Küchenplatte zu stellen. In die Nische neben dem Herd kann der Nachbar dann Getränkekästen stellen oder Altpapier. Das sieht nicht elegant aus, ein Kühlschrank auf der Küchenablage und das auch noch genau vor dem kleinen Fenster, aber wenn der Schreiner es sagt. Dann macht der Nachbar es eben so. Dem Vermieter hat er schon geschrieben, wozu ihm der Schreiner rät und daß er es »wegen der optischen und funktionalen Einschränkung bei der Mietreduktion von zwanzig Euro je Monat« beläßt, wie er es im versuchten Juristenjargon formulierte. Es tat ihm nur leid, daß der Schreiner in seinem Alter noch umsonst gekommen war. Das heißt, es tat dem Nachbar gar nicht leid, er sagte das nur. Es tat ihm leid für den Schreiner, sagen wir so. Das müsse ihm nicht leid tun, beruhigte ihn der Schreiner in seiner ohnehin seelenruhigen Art; zu seinem Beruf, den er gern ausübe, gehöre die Beratung. Und mit seiner Empfehlung sei der Nachbar offenbar zufrieden – also habe sich der Besuch gelohnt. Nicht nur deswegen, war der Nachbar versucht zu sagen.
    Weil der Flug nach Usbekistan wegen technischen Defekts ausfiel, berichtete ihm einer der iranischen Schöngeister, die sich im Viertel mit Hartz IV durchschlagen, daß er letztes Jahr niedergestochen worden sei, schräg vor ihrem Haus auf dem bepflanzten Mittelstreifen der Hauptstraße. Am schwersten zu fassen ist die Normalität von alldem: Auf geht’s nach Kabul, murmelt der Nachbar, als er mit dem Photographen morgens um sieben in den Peugeot steigt, den er nach der Führung in die Kneipe noch vor der Haustür abgestellt hat, um morgens eine Viertelstunde länger zu schlafen. Von Kabul zu schweigen, haben sie nicht einmal eine Vorstellung, was sie am anderen Ende des Flughafens erwarten wird, nur daß die Flugzeuge dort grün sind. Die Soldaten fliegen so weit entfernt von den Touristen ab, daß sie auf der Autobahn eine andere Ausfahrt nehmen und der Wegbeschreibung folgen müssen, die ihnen gemailt worden ist. Der Navigator behauptet, daß sie durchs Niemandsland fahren, obwohl sie direkt auf den Tower zusteuern; vielleicht wähnt er sie schon in Afghanistan. Der Soldat an der Einfahrt winkt sie ohne Rückfrage durch, als der Berichterstatter Termez sagt wie einen Code, als wolle ein blinder Passagier bestimmt nicht nach Usbekistan. Sie parken den Wagen auf einem kleinen Parkplatz mit Blick aufs Rollfeld. Der junge deutsche Offizier tritt ihnen in Springerstiefeln entgegen, die seine schmächtige Gestalt noch unsportlicher erscheinen lassen, und hilft, das Gepäck in die Flughalle zu tragen, wo ihnen ein älterer Kollege in der Schlange vor dem Check-in zwei Plätze

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