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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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der Herr, der sich im Bergischen Land verlief, teilte sein Alter schon bei der Lieferung der Schreibtischplatte mit, auf der sein Nachbar den Roman tippt, den ich schreibe; die Mitteilung scheint dem Schreiner auf dem Herzen zu liegen, genau wie dem Vater des Nachbarn und dem Herrn, der sich im Bergischen Land verlief. Alle drei sehen jünger aus, am jüngsten aber der Schreiner. Hätte der Nachbar daran gedacht, wie alt der Schreiner ist, er hätte ihn nicht angerufen, um die Küche des Büros so umzubauen, daß ein neuer Kühlschrank Platz findet. So ein schmaler Kühlschrank wie der, der seit dem Einzug defekt in der Küche steht, wird nicht mehr gebaut. Als sich herausstellte, daß der Hausmeister keinen finden würde, suchte der Nachbar über Monate einen Kühlschrank, der in eine Nische von etwa 49 Zentimeter Breite paßt (die Fußleiste nicht abgerechnet, die der Hausmeister abmontieren würde). Die schmalsten Geräte sind 50 Zentimeter breit. Der Nachbar forschte an allen denkbaren Stellen nach, in den einschlägigen Fachgeschäften sowieso, aber auch im Internet und bei Großhändlern. Ein Gerät gab es, das hatte eine Breite von 48,5 Zentimetern, doch bestellte er es nicht. Wer wäre für die Kosten aufgekommen, hätte es sich doch als zu breit entpuppt? Bestellt hat der Nachbar einen Camping-Kühlschrank beim Versandkaufhaus, ein viel zu niedriges Gerät, aber das war ihm ungefähr im September gleichgültig geworden. Beim Versandkaufhaus geriet er jedoch in einen telefonischen Bestelldienst von kafkaesker Verschlungenheit, so daß er den Auftrag nach mehreren Wochen wieder stornierte, womit der Prozeß freilich noch nicht beendet war. Niemand beim Versandkaufhaus wußte zu sagen, wie ein Gerät, das schon den Auslieferer erreicht hatte, wieder abbestellt werden kann. Ebensowenig konnte der Nachbar einen Kühlschrank umtauschen, den er nicht hatte. Der Auslieferer selbst nahm die Bestellung schon gar nicht zurück, weil unter der angegebenen Bestellnummer überhaupt keine Ware aufgeführt war. Schließlich kam der Nachbar darauf, den Fall auf sich beruhen lassen – und tatsächlich hat ihn das Versandkaufhaus lange nicht behelligt und gestern nur die Erstattung der Versandkosten verlangt. Ohnehin war es wie im Prozeßstets er gewesen, der Delinquent, der sich nach dem Stand des Verfahrens erkundigt hatte. Er sagte dem Vermieter, daß kein Weg daran vorbeiführen würde, die Küche müsse umgebaut werden, damit sie wieder über einen Kühlschrank verfügt: Ich kenne einen guten Schreiner. Als er anrief, teilte die Frau des Schreiners mit, daß ihr Mann im Krankenhaus liege. Der Nachbar möge sich nächste Woche nochmals melden. Ob der Schreiner denn so bald seine Arbeit aufnehmen könne, fragte der Nachbar. Ja, ja, wimmelte die Frau den Nachbarn ab, der sich Montag melden möge. Daß ein Achtundsiebzigjähriger, der gerade aus der Klinik entlassen worden ist, nicht in der Lage sein würde, auf die Schnelle eine Küche umzubauen, ahnte der Nachbar natürlich. Hatte der Schreiner nicht bereits von einem Krankenhausaufenthalt erzählt, als der Nachbar ihn wegen der Tischplatte aufsuchte? Ja, jetzt erinnerte er sich. Nicht mehr anzurufen wäre allerdings erst recht unhöflich gewesen. Da er nun vom Krankenhausaufenthalt des Schreiners erfahren hatte, mußte er sich wenigstens nach dem Befinden erkundigen, und die einzige oder einfachste Möglichkeit, das zu tun, bot die Frage, ob der Schreiner den Umbau der Küche übernehme. Außerdem dürfte der neuerliche Aufenthalt im Krankenhaus schon genug Aufträge gekostet haben, befürchtete der Nachbar, der den Schreiner nicht ebenfalls im Stich lassen wollte. Schreiner wie diesen wird esnicht mehr viele geben, seit Möbel billig geworden sind, so gute, gewissenhafte Handwerker mit einer Werkstatt wie in alten Filmen und freundlich von Herzen statt auf Weisung des Kundenmanagements. Der Nachbar ist sich nicht sicher, ob er das jetzt schon ausführen soll, jetzt, da der Schreiner zum Glück noch lebt. Die kurzen Eindrücke waren so stark, daß der Nachbar ein Gedächtnis bewahren möchte vom Schreiner, der den Tod bei aller Lebensbejahung mit achtundsiebzig Jahren und regelmäßigen Klinikaufenthalten selbst im Blick haben wird. Andererseits ist kaum anzunehmen, daß der Nachbar vom Tod des Schreiners

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