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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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freigehalten hat. Dieser ist Pole und hat einen so komplizierten Namen, daß sie ihn mit dem Vornamen anreden sollen. Schnell bestätigt sich, daß die beiden Offiziere des Nordatlantikpakts für alles taugen, nur nicht für ein Feindbild. Der Deutsche mit der rechteckigen Studentenbrille scheint der Nachdenkliche zu sein, der Pole mit dem Schnurrbart der Gemütsmensch. Das einstöckige Gebäude der Flugbereitschaft entspricht der Erwartung soldatischer Schlichtheit, von draußen mehr Lagerhalle als Terminal und innen Neonlicht, Plastikschalensitze, PVC -Boden, hell wie ein Krankenhaus, wenngleich nicht so blank, bis auf den Photographen und den Berichterstatter alle in olivgrünen Tarnuniformen. Die Irritation, an ein anderes System gedockt worden zu sein, hält nicht mehr als neunzig Sekunden. Danach muß der Berichterstatter sich immer wieder bewußtmachen, außerhalb seiner gewohnten Wirklichkeit zu stehen. Es ist schließlich auch alles wie gewohnt, nur daß die Passagiere fast ausschließlich Männer sind und alle dieselbe Kleidung tragen. Da sich nur wenige Soldaten untereinander zu kennen scheinen, wirkt es nicht einmal wie eine Gruppenreise oder ein Betriebsausflug. Einer verabschiedet seine Freundin, ein anderer blättert in einer Autozeitschrift, der dritte liest Hermann Hesse. Der Berichterstatter selbst quält sich, deutsches Pflichtgefühl, weiter mit Hölderlin und hat sich vorgenommen, noch einmal die frühen Hymnen zu lesen, damit in Afghanistan wenigstens einer jubelt. Die Wochenzeitung, die am Rucksack des deutschen Presseoffiziers klemmt, ist auch nicht gerade ein Kampfblatt, im Feuilleton ein Interview mit einem Schauspieler, das dem Berichterstatter das Warten verkürzt. »Gibt es Glücksmomente auf der Bühne?« »Es gibt ganz selten die Momente, wo das Spiel von selbst geht, wo ›es‹ spielt. Da kann ich mich selbst genießen. Sich selbst genießen – das ist auch eine Form von Sich-selbst-Aufessen.« »Warum ziehen Sie sich vom Theater zurück? Ist diese Zeit des Glücks vorbei?« »Ich bin nicht mehr so scharf aufs Spielen. Die gruppendynamischen Prozesse, die beim Spielen zwangsläufig entstehen, kommen mir immer alberner vor. Ich mag mich auch nicht mehr verstellen. Ich merke, es geht auf die Truhe zu. Damit ist man allein, da paßt keine Gruppendynamik.« »Auf die Truhe zu?« »Na, auf die Kiste … aufs Sterben.« Über den Schaltern, an denen junge Männer und Frauen in den gleichen Uniformen die Bordkarten ausgeben, stehen in elektronischer Schrift Zielort, Flugnummer und Abflugzeit. Der Soldat vor ihnen bittet um einen Fensterplatz. Die Kontrollen immerhin sind so gründlich, daß der Berichterstatter sich bis auf T- Shirt und Hose ausziehen muß und in der Sicherheitsschleuse dennoch ein Piepsen auslöst. Die Abflughalle selbst besteht aus einem turnhallengroßen, zum Glück beheizten Zelt, Bretterboden, Schalensitze, die eine Hälfte für Raucher, Kaffee und Bockwurst im Verkauf, Kaltgetränke aus dem Automaten, das Magazin der Bundeswehr wie eine Kundenzeitschrift auf den Tischen neben jeder Sitzreihe. In der Stimme des Befehlshabers, der neben den Wurstverkäufer tritt, um zu verkünden, daß die Maschine zunächst eine Stunde, dann zwei und dann, daß sie vierundzwanzig Stunden Verspätung hat, klingt das Militär leise, das Zwangslächeln kommerzieller Fluggesellschaften überhaupt nicht durch. Ansonsten ist es, als würde man nach Dublin fliegen oder eben nicht fliegen. Anders als beim Billigflieger käme hier niemand auf die Idee, sich über die Verschiebung des Fluges zu beschweren. Nicht einmal diese Aufregung bietet eine heutige Reise zur westlichen Front des Imperiums. »Here in this extraordinary piece of desert is where the fate of world security in the early 21st century is going to be decided«, sagte der britische Premierminister diese Woche beim Truppenbesuch. Leider könnte er recht behalten, befürchtet die Wochenzeitung, die sich der Berichterstatter vom Presseoffizier ausgeliehen hat. In Köln machten alle große Augen bei dem Wort Afghanistan, der Whiskyverkäufer, bei dem der Berichterstatter sich mit Gastgeschenken eindeckte, schließlich fliegt er in ein muslimisches Land, die Frau, die Eltern, die Tochter, die woher auch immer wußte, daß Krieg herrscht in Afghanistan. – Was mache ich

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