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Wesenszug. Abenteuerlust ist sicher bei vielen im Spiel, Erfahrungshunger, auch Selbsterfahrung, wie bei der blonden, freundlichen, etwas unsicheren Soldatin aus Jena auf dem Nebensitz, deren geschlossene Augen der Berichterstatter nutzt, um mit dem Bericht fortzufahren, den ich erstatte. Der Hauptgrund, sich für den sechsmonatigen Einsatz zu melden, seien allerdings die Zulagen gewesen, erklärte sie vorm Einschlafen. Der Berichterstatter wunderte sich über den Betrag, der ihm lachhaft erschien, aber die Sitznachbarin argumentierte, daà sie kaum Ausgaben habe in Afghanistan, fürs Nachtleben sei Kunduz ja nicht gerade berühmt. »Wenn im Heldenbunde meiner Brüder / Deutsches Blut und deutsche Liebe glüht; / Dann o Himmelstochter! singâ ich wieder, / Singe sterbend dir das letzte Lied.« Aus den Gesprächen mit den Offizieren ist bereits jetzt herauszuhören, wie sich das eigene soldatische Verständnis von dem der Amerikaner unterscheidet, auch ziviles SelbstbewuÃtsein, womöglich aus der Furcht geboren, kämpfen zu müssen, und Zorn darüber, den Preis für eine Strategie zu bezahlen, die für ebenso aussichts- wie gedankenlos gehalten wird. Der Krieg gegen den Terror scheint an Bord nicht viele Anhänger zu haben. Auf dem Papier lesen sich die Konzepte für den Wiederaufbau vernünftig. Zu suchen sind die Gründe, warum sie in der Praxis scheitern, aber nicht jetzt, da der Berichterstatter sich alle fünf Sekunden versichert, daà die ziemlich hübsche Sitznachbarin aus Jena nicht die Augen öffnet. Ein Buch lugt aus ihrer Sitztasche hervor, ein Lebensberater: Die Bären-Strategie. In der Ruhe liegt die Kraft .
4:46 Uhr usbekische Zeit, Sonntag, 26. November 2006, vier Stunden später als in Deutschland. Es sieht nicht viel anders aus als in der Halle, in der sie gestern morgen zum zweiten Mal eincheckten, nur ist das Neonlicht die ganze Nacht noch greller und haben die unverrückbaren Stuhlreihen, auf denen höchstens die Hälfte der Soldaten Platz findet, schmale blaue Kunststoffpolster. Es ist in der deutschen Armee 2006 nicht mehr so, daà man seinen Stuhl für Vorgesetzte räumen würde, deshalb blitzen auf dem hellen PVC -Boden auch viele Abzeichen. Die Langeweile, das Frieren, die steifen Knochen kennen keine Dienstgrade. Auch der Photograph und der Berichterstatter gehören bis auf weiteres zur Truppe. Seit zehn Stunden stecken sie in einer Wartehalle eines Flughafens fest, den seit Jahren niemand genutzt zu haben scheint, so leer ist es drinnen und auf dem Rollfeld genauso. Wegen schlechten Wetters konnte das Flugzeug gestern abend nicht in Termez landen. Nach einigen Warteschleifen hieà es, sie würden nach Urgensch ausweichen. Urgensch? hörte der Berichterstatter es in allen Sitzreihen murmeln. Der Photograph leierte aus dem Kopf die Stadtgeschichte herunter. Auf dem Feldzug gegen das alte Emirat Kiva, aus dem die Stadt hervorgegangen ist, sind die zaristischen Truppen etwa 1860 erfroren, verhungert, verlumpt, verendet, dreiÃigtausend Mann. Die zwischenzeitliche Ansage, nach Taschkent zu fliegen, löste Erleichterung aus, denn dort, wurde gemunkelt, fände man so spät, zahlreich und spontan noch Hotelzimmer. Am Ende landete die deutsche Armee doch in Urgensch und marschierte sie nach einstündiger Verhandlung mit dem usbekischen Bodenpersonal, das die deutsche Armee nicht aussteigen lassen wollte, bei minus zwölf Grad zur Wartehalle, in der es zehn Grad wärmer war. Das Zögern des Bodenpersonals ist verständlich, wie mittlerweile alles verständlich ist. Man muà sich vorstellen: Aus heiterem Himmel (gut, es war nachts und bewölkt) steht plötzlich ein deutsches Militärflugzeug mit zweihundertachtzig Soldaten auf dem Rollfeld, auf dem sonst nur wöchentlich ein, zwei usbekische Zivilmaschinen landen, wie ein Leutnant zwischenzeitlich herausgefunden hat. »Den Tag enstaltete scheusliche Gevögel. / Her aus den Wäldern sprang das Wild in nächtlicher Stunde, / Und erkieste sein Lager sich kek in der Mitte von Roma.« Bis man überhaupt einen Verantwortlichen aus dem Schlaf telefoniert hat, und dann soll man auch noch nachts im usbekischen Nirgendwo Unterkunft und Verpflegung herbeizaubern. Als die deutsche Armee die Wartehalle lang genug beatmet hatte, stieg das Thermometer, das ein Stabsfeldwebel mit sich führte, über null Grad. Später schaffte es der
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