Dein Name
denn nur, wenn ich erfahre, daà du gestorben bist? fragte sie, als hätte er die Antwort parat. Die Diskrepanz zwischen der Gewöhnlichkeit des Abreisens und der vorgestellten Dramatik am Ankunftsort â einem Kriegsschauplatz immerhin â fiel ihm wieder ein, als er auf dem Weg ins Büro den dicken Schöngeist mit seiner Nickelbrille und den langen weiÃen Haaren traf. Zuerst hatte der Berichterstatter es eilig, weil es schon nach vier war und er Bericht erstatten wollte vom Vormittag, der Photograph spätestens um sieben aus der Stadt zurück und der Schöngeist von der Art, die sich beim Reden selbst genieÃt, aber dann kamen sie auf die Kaffeebar zu sprechen, die der Schöngeist an der HauptstraÃe eröffnen wolle, weil er seit dem Ãberfall nichts mehr angefaÃt habe. Was für ein Ãberfall? Der Berichterstatter kannte den Schöngeist, der multikulturelle Filmreihen und Ausstellungen organisiert, vor allem im Bürgerzentrum auf der anderen StraÃenseite; einmal lieà der Berichterstatter sich sogar breitschlagen, die Ansprache auf einer Vernissage zu halten. Der Schöngeist möchte ihn immer für etwas einspannen, hier Frauenfilme, dort eine Exilzeitschrift. Er war am Pinkeln, betrunken, wie er zugab, als jemand von hinten auf ihn einstach. Wie bitte? Ja, er habe den Angreifer nicht einmal aus dem Augenwinkeln gesehen: Messerstiche, Sturz auf den Boden, weitere Messerstiche, FuÃtritte, Hände vors Gesicht, nach unbekannt langer, vermutlicher kurzer Zeit war es vorüber. Der Angreifer verschwand, ohne daà der Schöngeist ihm nachsehen konnte. Ãberlebt habe er die acht Stiche nur wegen seines Fetts. Allmählich schüttle er sich aus seiner Depression. Man will ja nicht leben, wo so etwas möglich ist, sagte der Schöngeist, noch dazu in einer Fremde, obwohl er mindestens so lang im Viertel lebt wie der Nachbar. Seine Einsamkeit sei ihm aufgegangen, und dem Nachbar ging auf, daà der Schöngeist Gründe hatte zu verweilen und Respekt verdiente für die Frauenfilmreihen und Exilzeitschriften. Er gab ihm die Nummer seines ältesten Freundes, der eine Kaffeebar betreibt. Dem ältesten Freund hat er bereits angekündigt, daà ein iranischer Schöngeist sich bei ihm melden würde, um sich ein paar Tips zu holen. Jetzt ist es Freitag, der 24. November 2006. Bevor der türkische Supermarkt schlieÃt, muà der Nachbar fürs Abendessen einkaufen. Die Tochter sagte heute morgen beim Küssen des Korans, daà immer etwas schieflaufe, wenn sie vor einer Reise vergessen, den Koran zu küssen. Das stimmt auch, kam allerdings nur einmal vor. Kurz nachdem der Soldat sie an der Ausfahrt des Militärflughafens mit ausgestreckten Fingern an der Stirn verabschiedet hatte, meinte der Photograph, daà trotz des Korans etwas schiefgelaufen sei. Nein, nein, widersprach der Berichterstatter, es sei nichts schiefgelaufen, jedenfalls nicht für die Tochter, die er gleich vor der Schule überraschen würde. »Leben«, lautet diese Woche der Trinkspruch der Kneipe: »es wird uns ein fremder Hut aufgesetzt auf einen Kopf, den wir gar nicht haben.«
Um 15:44 Uhr deutscher Zeit ist es drauÃen bereits lange dunkel. Sie müÃten über RuÃland sein, auf der Höhe der Türkei oder schon weiter. Das einzige, wodurch sich der Flug von Urlaub unterscheidet: daà der Kopilot die Fluggäste einmal als Kameraden angesprochen hat, kein Alkohol ausgeschenkt, nichts zollfrei verkauft wird. Zwischen den Stewardessen, die ebenfalls Militäruniformen tragen, und den Fluggästen ist das Verhältnis kollegial. Wie bei Urlaubsflügen müssen die Soldaten die Getränke bezahlen, kostenlos nur das Essen und ein Becher Orangensaft für jeden, Umgang und Ton bemerkenswert zivil, kein Vergleich zu anderen männlichen Ansammlungen, ob Kegelfahrten, ob FuÃballvereine, nichts Derbes, nichts Lärmendes, nichts Zotiges, was nicht allein an der Prohibition liegen kann. Wenn der eine Uniformierte dem anderen Uniformierten im Weg steht, wird er als Kamerad angeredet und gebeten, zur Seite zu treten. Das ÃuÃerste an lärmender Geselligkeit ist eine Skatrunde über den Gang hinweg. Einige schauen zu zweit eine DVD auf dem Laptop, der Kopfhörer geteilt. Wie es erleichtert, daà den Deutschen das Martialische so fremd geworden. Schon die Uniformen haben mehr von einer Verkleidung als von einem
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