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erfahren würde. Er liest die lokale Zeitung nur sporadisch und niemals die Todesanzeigen. Er könnte von Zeit zu Zeit, sagen wir alle zwei, drei Jahre, anrufen wegen eines Regals, neuer TischfüÃe oder eines Küchenumbaus, aber wann hat er schon einmal einen Auftrag für eine MaÃanfertigung zu vergeben? Für die Küche zu Hause käme der Schreiner ohnehin nicht in Frage, nicht nur wegen seines Alters und der vielen Treppenstufen, sondern weil ein Schreiner zu viel kosten würde und sein Geschmack dem des Nachbarn vielleicht nicht entspräche. Es wäre auch zuviel. Alle zwei Jahre anzurufen in der Erwartung, daà einmal die Frau oder der Sohn des Schreiners den Tod vermelden, ist zuviel. Das ist kein Umgang mit dem Tod, ihn so zu antizipieren, und kein Bekümmern. Der Nachbar muà dem Zufall seinen Platz gewähren. Es gibt nun einmal Menschen, bei denen es schlechterdings keinen Unterschied macht, ob sie morgen oder in fünfzig Jahren sterben. Schon wenn er an seine ehemaligen Freundinnen denkt: von ihnen hatte er ungleich stärkere Eindrücke als vom Schreiner, aber daà er ihnen je wieder begegnen oder von ihrem Tod erfahren sollte, wäre in den meisten Fällen der reine, völlig unwahrscheinliche Zufall. Er wird bestimmt nicht einer hinterherlaufen, nur um sie auf seinen Friedhof zu zerren. Der Eingang ist offen, er hält auch Ausschau, eintreten müssen seine Trauerfälle freilich schon selbst. Vielleicht geht er so vor, daà er nur vom Rheinisch des Schreiners berichtet und die Beobachtung von vornherein ins Allgemeine überführt. Dann bleiben von den Eindrücken zwar nicht mehr viele übrig, befürchtet der Nachbar, aber es wird schon genügen. Bei genauerer Betrachtung ist das, was bleibt, immer weniger, als man meinte, und stärker, als man es für möglich hielt. Der Schreiner spricht nicht, er singt. Das ist natürlich keine Eigentümlichkeit von ihm, sondern bei ihnen in Köln und zumal im Viertel durchaus geläufig. Der Nachbar schreibt so nostalgisch bei uns in Köln , weil es tatsächlich die kölsche Sprachmelodie ist, die in ihm das unmittelbare Gefühl geographischer Verbundenheit auslöst, noch stärker inzwischen, als wenn er Isfahanis hört, die ebenso melodisch, aber mit ihren hochgezogenen Endsilben viel kecker klingen. Im Kölsch sind die Konsonanten so weich wie sonst nur im Französischen, ach was, weicher noch, weich wie an Sommerabenden die Butter, die morgens auf dem Küchentisch vergessen wurde. Lustig hört sich das an, leutselig, lebensfroh, gemütlich. Ja, das ist auch so ein Wort, das der Nachbar sich nur in Köln gefallen läÃt, jemüthlischkeit , das h zwischen dem t und dem l als eigenen Konsonanten gesprochen. Immer wenn er ein solches Rheinisch höre, diesen Tonfall, der umarmt, wird ihm warm ums Herz. Der Wirt, der gern Trinksprüche von Heimito von Doderer an die Tafel schreibt, spricht auch so, überhaupt viele. Im Radio hörte der Nachbar gestern nach dem morgendlichen Klassikprogramm ein Gedenkstück zur vierten Wiederwahl von Konrad Adenauer, und da war es auch wieder im Zimmer. Das ist so schön, Adenauer zu hören, daà man ihm gleich die Hälfte verzeiht, selbst seine vierte Wiederwahl, die nun wirklich erschlichen war. Man sieht das alles gleich viel lockerer, wenn Adenauer es auf rheinisch erklärt. Man muà auch mal sehen, daà sonst womöglich Franz Josef Strauà Bundeskanzler wäre. Man kann überhaupt kein Schurke sein, wenn man beim Reden singt; ein Schurke, meinetwegen, aber kein Massenmörder, ein Blockwart vielleicht, aber keiner, der nicht auch mal ein Auge zudrückte. Weil bei soviel Heimeligkeit selbst Willy Millowitsch dem Roman widerspräche, den ich schreibe, fügt der Nachbar eilig hinzu, daà auch in Köln die Braunen herrschten; das war keine Fremdherrschaft, und im Rat sitzen sie noch heute. Aber er fragt sich, wie ein Kölscher Nazi sich überhaupt angehört hat. Nur mal angenommen, Adolf Hitler stammte aus Köln â der hätte nicht so reden können, wie er geredet hat, so abgehackt, daà die Konsonanten Funken schlagen. Und das hätte doch nach aller Linguistik auch seine Weltanschauung aufgeweicht, wenn er ein biÃchen jemüt-h-lischkeit in der Stimme gehabt hätte und alle Zeit der Welt, um einen Satz zu beenden. Der Nachbar kann sich einen bayrischen Nazi
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