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Dein totes Mädchen: Roman (German Edition)

Dein totes Mädchen: Roman (German Edition)

Titel: Dein totes Mädchen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Berg
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der Leiter der Mordkommission. Du kannst hier nicht wie ein Häufchen Elend auf dem Boden liegen. Was sollen die Kollegen von dir denken?«
    »Ich bin ein Häufchen Elend«, stöhnte Ulf. »Und was die Kollegen denken, war mir schon immer egal.«
    »Du bist wehleidig.«
    Ulf richtete sich leise fluchend auf und griff nach dem Glas. Angewidert leerte er es in einem Zug. Als die kalte Flüssigkeit seinen Magen erreichte, kämpfte er einen Moment, um sie dort zu behalten. Er lehnte sich vorsichtig an das Bein seines Schreibtisches. Jetzt erst bemerkte er, wie kalt es im Büro war, und tastete nach seiner Jacke. »Hast du etwa das Fenster aufgemacht?«, fragte er anklagend.
    Håkan betrachtete ihn kopfschüttelnd. »Als ich hier vor einer halben Stunde reingekommen bin, stank es wie in einer Ausnüchterungszelle.«
    Ulf benetzte die Lippen, atmete tief durch. »Stinkt es noch immer?«
    Håkan schüttelte den Kopf.
    »Dann mach das Fenster zu.« Mit Mühe stand Ulf auf. »Ich gehe zur Toilette.«
    Im Waschraum hielt er seinen kurzgeschorenen dunklen Schopf unter den Wasserhahn. Er schnappte nach Luft, als das kalte Wasser über seine Haare und in seinen Nacken spritzte, aber es brachte ihn schnell zu sich. Schneller beinahe, als ihm lieb war, denn es brachte auch die Erinnerung an den vergangenen Abend zurück, den Grund, warum er sich so sinnlos betrunken hatte. Er zog eine ganze Reihe Papierhandtücher aus dem Spender und rubbelte sich die Haare trocken, dann stützte er sich auf dem Waschbecken auf und starrte in den Spiegel. Er sah aus wie ein Zombie. Das Gesicht blass, die Augen blutunterlaufen. Okay, er war immerhin fast fünfzig. In dem Alter hinterließ eine durchsoffene Nacht ihre Spuren. Sein Sakko war zerknittert, das Hemd fleckig am Kragen, aber wenn er sich recht erinnerte, hatte er ein frisches in der Schreibtischschublade. Im Großraumbüro schwiegen erneut alle, als er hindurchging. Er versuchte, es zu ignorieren.
    »Ich nehme mir bis zum Wochenende frei«, informierte er Håkan, während er seine Sachen zusammensuchte. Es war Donnerstag. »Montag bin ich wieder hier.«
    »Moment.« Håkan hielt ihn zurück. Sie arbeiteten seit fast zwanzig Jahren zusammen, und es gab nur sehr wenig, das sie nicht voneinander wussten. »Was ist passiert?«
    »Ich will nicht darüber reden.«
    Håkan schüttelte den Kopf. »So geht das nicht, Ulf.«
    Ulf sank auf seinen Schreibtischstuhl. »Håkan, ich kann nicht darüber reden. Noch nicht. Ich brauche das Wochenende.«
    »Wohin willst du?«
    »Ich fahre rauf nach Härjedalen.«
    Håkan verzog nachdenklich das Gesicht. »Was ist die offizielle Version für die Kollegen?«
    Ulf lächelte müde. »Sag ihnen, es ist wegen einer Frau.«
    »Das glaubt mir keiner«, erwiderte Håkan trocken. »Nicht bei dir.«
    Ulf griff nach seiner Jacke. Nein, niemand würde das glauben. Er hatte hart an seinem Image gearbeitet. Er merkte plötzlich, wie Håkan ihn anstarrte. »Verdammt, es ist wegen einer Frau«, stellte sein Kollege ungläubig fest. »Ulf …«
    »Ich verlasse mich auf dich«, sagte Ulf abschließend, die Hand schon am Türgriff.
    »Du willst aber heute nicht Auto fahren?«, rief Håkan ihm hinterher.
    »Später«, beruhigte ihn Ulf. »Erst muss ich nach Hause.«
    Er rief sich ein Taxi.
    *
    Vor dem Gebäude in der Götgatan in Södermalm parkte der Werkstattwagen einer Heizungsfirma. Die Haustür war geöffnet, Stromkabel lagen herum, und an den Wänden standen Kupferrohrstücke. Aus dem Keller hörte Ulf das Zischen eines Schweißbrenners. Mit einem Seufzen stieg er die Treppen zu seiner Wohnung im dritten Stock hinauf. Sein Vermieter hatte ihm je eine Elektroheizung ins Wohnzimmer und in die Küche gestellt, doch es gab nach wie vor kein Warmwasser. Ulf stellte die Kaffeemaschine an und entledigte sich auf dem Weg ins Badezimmer seiner schmutzigen Kleidung. Was auch immer Håkan ihm verabreicht hatte wirkte mindestens so gut, wie es schlecht geschmeckt hatte. Er wusch sich am Waschbecken, rasierte sich und trank Kaffee, während er eine Reisetasche packte. Schließlich setzte er sich an den Küchentisch und betrachtete wohl zum hundertsten Mal das Foto der Frau, das eine Radarkamera in Mittelschweden geschossen hatte. Ein erstaunlich scharfes Foto. Die Frau blickte ernst, die kleine Falte zwischen ihren Augenbrauen wirkte konzentriert – vielleicht aber war sie nur müde. Ulf schluckte. Sie war noch immer attraktiv, auf eine natürliche Art, und er fragte sich

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