Dein totes Mädchen: Roman (German Edition)
hatte sie gewusst, dass es die richtige Entscheidung gewesen war.
Björn war ein erfahrener Liebhaber, er kannte ihren Körper und wusste genau, was sie in einer solchen Situation brauchte, und für eine Weile hatte sie weder an Ulf noch an Caroline denken müssen. Sie hatte an überhaupt nichts gedacht.
»Geht es dir jetzt besser?«, hatte Björn schließlich leise gefragt, als sie später in seinem Arm gelegen hatte. Sie hatte auf die Spur ihrer vom Flur bis ins Schlafzimmer verteilten Kleidung geblickt, war sich seiner Hand bewusst geworden, die warm zwischen ihren Beinen lag, und hatte ihn zur Antwort schweigend geküsst. Wenig später war sie eingeschlafen. Sie hatte nicht gemerkt, wie er ging, aber das war auch nicht nötig. Er blieb nie über Nacht.
Sie schliefen seit vielen Jahren sporadisch miteinander, und sie fragte sich, ob sie es vermissen würde, wenn sie es nicht mehr taten. So wie Caroline damals besaß auch Björn eine Leichtigkeit, die Maybrit völlig fehlte. Seine Nähe erschien ihr wie die Berührung eines Sonnenstrahls, der sich vorwitzig durch das Fenster stahl, lachend und tanzend Wärme und Licht verbreitete, und der es nicht übelnahm, wenn man ihn aussperrte. Sie liebte ihn nicht, ebenso wenig wie er sie, sie waren Freunde, mehr nicht, aber sie liebte ebendiese Leichtigkeit, die auch den Sex mit ihm zu einem unkomplizierten und von jeglicher Verantwortung befreiten Spiel machte. Seit Caroline ins Tal zurückgekehrt war, war es das erste Mal gewesen, dass er bei ihr geblieben war, und als Maybrit in der Nacht vom Krachen des Windes aufgewacht war, hatte sie sich gefragt, ob Björns Gedanken bei Caroline gewesen waren, während er mit ihr geschlafen hatte. Er ließ sich nichts anmerken, obwohl sie zu wissen glaubte, wie es um ihn in dieser Hinsicht bestellt war. Sie hoffte nur, dass er ihr gegenüber deswegen keine Gewissensbisse hegte. Sie war versucht gewesen, ihn anzurufen, hatte das Telefon schon in der Hand gehabt, obwohl es mitten in der Nacht war, aber sie hatte es nicht getan. Stattdessen war sie aufgestanden, hatte etwas getrunken und dabei bemerkt, dass Ulf nicht da war. An Schlafen war danach nicht mehr zu denken gewesen, und am Morgen hatte sie vom ganzen Ausmaß der Katastrophe erfahren.
Als sie jetzt im grauen Licht des Vormittags in ihrem Wohnzimmer stand mit dem Bewusstsein, dass sie nichts, aber auch gar nichts tun konnte, schämte sie sich für ihre Hysterie und ahnte doch gleichzeitig, dass ihre Ängste nicht unbegründet waren. Ulf und Caroline waren eingeschneit, eingepfercht auf engstem Raum, ohne die Möglichkeit, einander auszuweichen – was aus dieser Situation erwachsen mochte, wollte Maybrit sich nicht vorstellen. Sie hatte erfolglos versucht, sich abzulenken und ihre Gedanken in eine andere Richtung zu lenken. Als Paar waren Caroline und Ulf früher schon eine explosive Mischung gewesen, er herrisch und jähzornig, sie egozentrisch und und bisweilen rücksichtslos. »Feuer und Eis«, hatte ihre Tante Inga, Ulfs Mutter, einmal gesagt. »Wenn wir nicht aufpassen, bringen sie sich gegenseitig um.«
Maybrit erinnerte sich an Ulfs Gesichtsausdruck, als er ihr von Lianne erzählte hatte, seiner Tochter. »Ich wollte nie Vater sein«, hatte er gesagt, und doch hatte sie Tränen in seinen Augen gesehen. Was für Wahrheiten würden Ulf und Caroline noch zutage fördern dort draußen, wie viel Schmerz würden sie einander zufügen? Als Ulf über Caroline und Lianne gesprochen hatte, hatte sie zwischen den Zeilen die Einsamkeit herausgehört, die sich in den Jahren aufgestaut hatte, in denen er sich nach Nähe gesehnt und sie doch nie hatte zulassen können. Stattdessen hatte er sich in zu viel Alkohol und banale Affären geflüchtet. In diesem Moment hatte sie sich gewünscht, dass es ihm und Caroline gelänge, das Zerstörerische in ihrem Miteinander zu überwinden und gegen alle Widerstände zueinanderzufinden, aber sie glaubte nicht daran. Zu tief waren die Wunden.
Sie seufzte bei dem Gedanken und dachte zurück an jenen Sommer, in dem Caroline von einem Tag auf den anderen verschwunden war. Zu ihr, Maybrit, war Ulf damals in seiner Verzweiflung gekommen, nicht zu seiner Schwester, nicht zu seinen Eltern, nicht zu Björn. Zu ihr. Sie erinnerte sich vor allem an die drückende Hitze, die in jenen Monaten über dem Land gelegen hatte, und die schwelenden Feuer in den Wäldern, als hätte das Verderben bereits in der Luft gelegen. Ulf hatte damals in ihrem Zimmer
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