Dein totes Mädchen: Roman (German Edition)
Badezimmertür sich öffnete und wieder schloss, und hielt in seiner Wanderung durch das Wohnzimmer inne, als sie gleich darauf den Raum betrat. Sie hatte geduscht und sich angezogen. Jeans und Pullover. Es hatte ihnen beiden Zeit zum Nachdenken gegeben. Als ihre Blicke sich trafen, sah er, dass sie geweint hatte, ihre Augen waren noch immer gerötet, und er schämte sich seiner Erleichterung darüber.
Er machte einen Schritt auf sie zu. »Willst du darüber reden?«, fragte er. »Kannst du es?«
Sie antwortete nicht gleich, schlug die Arme um ihren Körper, als wäre ihr immer noch kalt. »Ich weiß es nicht«, erwiderte sie schließlich.
»Okay«, sagte er. »Und wenn ich dir helfe?«
Was lag in ihren Augen? Angst? Misstrauen?
»Ich möchte …«, begann sie zögernd, »… dass du zunächst verstehst, warum ich es getan habe.«
»In Ordnung«, sagte er. »Fangen wir damit an.« Er fühlte sich, als würde er über glühende Steine balancieren. »Willst du dich setzen?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich möchte dir etwas zeigen.«
Sie zog zwei Fotoalben aus dem Bücherregal.
Er unterdrückte den Wunsch, aufzustehen und rauszugehen. »Warum soll ich mir Fotos ansehen, Lilli?«
»Dann wirst du es verstehen.«
Er glaubte ihr nicht und verfluchte den Sturm und seine Idee nach Härjedalen zu fahren. Seine Leichtsinnigkeit, den Haftbefehl in seiner Tasche mit sich herumzutragen. Er erkannte, wie sehr ihn seine eigenen Befindlichkeiten blockierten, und atmete tief durch. Es kostete Kraft, die Bedenken beiseitezuschieben. Aber vielleicht kamen sie über die Fotos endlich ins Gespräch. »Gut«, stimmte er schließlich zu.
Es waren zwei altmodische, mit Stoff bespannte Alben. Sie erschienen ihm wie ein Anachronismus in Zeiten der digitalen Fotografie, der Tablet-Computer und Smartphones. Als Lianne geboren wurde, hatte es all diese Dinge nicht gegeben. Keine Babyfotos bei Facebook. Er wies auf das Sofa. »Setzen wir uns?«
»Wollen wir nicht lieber in die Küche gehen?«, fragte sie, und er spürte ihren Wunsch nach Distanz.
Sie setzten sich über Eck an den Küchentisch. Ihre Ellbogen berührten sich, und sie zog den ihren hastig zurück. Die Fotoalben lagen vor ihnen. Caroline nahm das oberste. Jetzt aus der Nähe bemerkte er, wie verblichen der pastellfarbene Stoff war, als hätte das Album in der Sonne gelegen. Die Ecken waren abgewetzt. »Es sieht ganz so aus, als hättest du es oft angesehen«, bemerkte er leichthin, um die Spannung zu lösen.
Sie lächelte flüchtig. »Lianne und ich haben es oft zusammen angesehen. Vor allem als sie klein war.« Sie schlug die erste Seite auf, und Ulf erstarrte. Es waren keine Kinderfotos. Es waren Bilder von ihm und Caroline. Björn. Maybrit …
»Wir müssen anknüpfen, wo wir aufgehört haben, sonst werden wir uns nie verstehen«, sagte sie. »Wir müssen uns erinnern, wie wir damals waren.«
Er schüttelte den Kopf. »Das ist alles lang vorbei, Caroline. Du hast es gestern selbst gesagt. Wir können die Vergangenheit nicht zurückholen.«
»Nein, aber wir müssen uns ihrer bewusst sein, um unser heutiges Handeln beurteilen zu können.«
»Ich glaube nicht, dass das nötig ist.«
»Gib mir eine Chance«, bat sie.
Er schluckte und wartete.
Sie schob das Album zu ihm hinüber, wies auf eine Fotografie. Sie zeigte ihn und Caroline in Badekleidung auf dem Steg unterhalb des Hauses, in dem sie jetzt saßen. Sie ließen die Füße ins Wasser baumeln, und er sah zur Kamera auf, während Caroline ihn betrachtete. Er erinnerte sich. Sie waren schwimmen gewesen. Maybrit hatte das Foto gemacht. Sie hatte dauernd Fotos gemacht. Er meinte, das Klacken der Kamera zu hören, ihr Lachen, das Plätschern des Wassers gegen den Steg und das flüchtige regenbogenfarbene Schimmern zu sehen, wenn eine Forelle in einer Fontäne aus Tropfen aus dem Wasser sprang und nach den tanzenden Mücken schnappte.
»An dem Tag habe ich von der Schwangerschaft erfahren«, erreichte ihn Carolines Stimme wie von fern.
Er brauchte einen Moment, um die Information aufzunehmen. Sie führte dazu, dass er das Foto aus einem völlig neuen Blickwinkel betrachtete und versuchte, Carolines Gesichtsausdruck zu analysieren. Es lag Nachdenklichkeit in ihrer Miene. Sie wusste, dass sie ein Kind von ihm bekam. Überlegte sie, ob sie es ihm erzählen sollte? Warum hatte sie es nicht getan? Er schob das Album von sich. All diese Gedanken führten immer wieder zu einer einzigen Frage. Er würde sie nicht noch
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