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Dein totes Mädchen: Roman (German Edition)

Dein totes Mädchen: Roman (German Edition)

Titel: Dein totes Mädchen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Berg
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hatte es nicht gewagt, und so wusste er bis heute nicht, dass sie ihr Wort nicht gebrochen hätte, wenn sie nicht so viel Angst um das Kind gehabt hätte, das in ihrem Körper heranwuchs. »Lianne war doch alles, was ich noch hatte«, fügte sie kaum hörbar hinzu.
    Er rührte sich lange nicht, bis er sie schließlich fragte: »Was ist damals geschehen, Lilli?« Die Kälte, die in seiner Stimme mitschwang, jagte ihr einen Schauer über den Rücken. Er hatte gelernt, sich zu beherrschen, aber der Zorn brodelte in ihm, und sie wusste nur zu gut, wie es war, wenn er die Oberhand gewann. Und dann bemerkte sie die Stille. Aber sie rührte nicht von Ulfs abwartendem und drückendem Schweigen. Caroline lauschte in die Nacht. Kein Laut war zu hören, kein Knarren, kein Heulen. Vor Aufregung wurden ihre Hände feucht. Der Sturm hatte sich endlich gelegt. Ihr Blick fiel auf den Revolver auf dem Tisch. Würde sie den Mut haben, zu tun, was nötig war?

25.
    I ch wollte dich nicht verlassen damals. Aber ich hatte keine Wahl.
    So verzagt hatte Caroline die Worte ausgesprochen, so entmutigt. War das möglich? War sie nicht freiwillig gegangen? Ulf sah sie an, noch immer auf eine Antwort wartend. Doch sie schwieg ebenso beharrlich wie in den vergangenen Tagen, wenn sie auf dieses Thema zu sprechen gekommen waren. Wut flammte in ihm auf. Er griff nach ihrem Handgelenk und zog sie unsanft zu sich heran, so dicht, dass ihre Gesichter nur Zentimeter voneinander entfernt waren. »Hör auf zu taktieren«, warnte er, seine Stimme gefährlich ruhig. »Erzähl mir endlich die Wahrheit!«
    Sie sog erschrocken den Atem ein. Er bemerkte das Zittern ihrer Nasenflügel, ihren flehenden Blick, aber er war mit seiner Geduld am Ende. Verdammt, sie hatte nicht die leiseste Ahnung, was er damals alles in Bewegung gesetzt hatte, um herauszufinden, warum sie gegangen war und wo sie sein könnte. Er hatte ihre Andeutungen satt, er wollte sie nicht mehr hören. Er wollte Antworten auf seine Fragen. Seine Finger schlossen sich fester um ihr Handgelenk. Tränen sprangen in ihre Augen, und sie presste die Lippen gegen den Schmerz zusammen. Er drückte weiter zu. »Du bist also nicht freiwillig gegangen damals? Dann sag mir doch, Lilli, wer hat dich gezwungen?«
    Sie krümmte sich, weigerte sich aber zu sprechen.
    »Sieh mich an!«, forderte er drohend.
    Sie schüttelte den Kopf.
    Mit festem Griff packte er sie am Kinn und zwang sie, aufzusehen. Weit aufgerissene, ängstliche Augen begegneten den seinen.
    »Bitte«, flüsterte sie. »Nicht …«
    Zwei Worte nur, die genügten, ihn zur Besinnung zu bringen. Entsetzt schnappte er nach Luft, starrte erst sie an, dann seine bereits erhobene Hand, und Erinnerungen wurden lebendig, die er am liebsten für immer aus seinem Gedächtnis getilgt hätte. Er schluckte hart. Sie hatten eine Historie, was Gewalt betraf. Und natürlich dachte Caroline in diesem Moment genauso daran wie er. Sie hatte das Gesicht abgewendet, er konnte die Narbe unter ihrem Haaransatz nicht sehen, aber sie war da. Er hatte sie unter seinen Fingern gespürt. Er empfand plötzlich Ekel vor sich selbst, vor der ganzen Situation. Was sie taten, war krank. Sie wühlten in der Vergangenheit und fügten sich gegenseitig Schmerz zu, statt ruhen zu lassen, was längst vorbei und nicht mehr zu ändern war. Himmel, er war kurz davor gewesen, sie zu schlagen. Aus purem Zorn. Und er kannte sich gut genug, um zu wissen, dass er, einmal begonnen, nicht hätte aufhören können. So wie damals.
    »Ich will nichts mehr hören, verstehst du?«, stieß er hervor. »Keine Andeutungen, nichts. Ich ertrage es nicht mehr.« Abrupt ließ er sie los, stand mit einem Ruck auf und wandte ihr den Rücken zu. Ohne Vorwarnung hieb er mit der Faust gegen einen der mächtigen Balken der Wand, wieder und immer wieder, bis sich seine Wut endlich in Schmerz auflöste. Nur vage nahm er wahr, dass Caroline den Raum verließ, dass der Hund aufsprang und ihr folgte. Schwer atmend hielt er schließlich inne und lauschte in die Nacht, in die plötzliche, unnatürliche Stille. Das Knarren des Hauses und Heulen des Windes waren verstummt. Der Sturm hatte sich gelegt. Er hätte erleichtert sein müssen, aber er war es nicht. Wenn der Sturm dort draußen seine Kraft verliert, ist es vorbei. Das waren Carolines Worte gewesen.
    Er eilte in den Flur. Die Haustür war angelehnt. Mit klopfendem Herzen riss er sie auf. Caroline stand an der Treppe, die von der Veranda in den Garten führte.

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