Dein totes Mädchen: Roman (German Edition)
auf?
»Es hat etwas mit Caroline zu tun«, mutmaßte Maybrit, als er ihr gegenüber seine Gedanken äußerte. Sie hob die Hand vor die Augen, um in der gleißenden Sonne etwas zu erkennen. Sie standen auf dem großen Parkplatz vor der Liftanlage.
»Mit Lilli?« Björn schüttelte ungläubig den Kopf und stampfte mit den Füßen auf, um sich warm zu halten. Minus fünfundzwanzig Grad hatte das Thermometer am Morgen angezeigt. Das war selbst für ihre Breiten ungewöhnlich kalt. »Warum sollte er wegen Lilli kommen? Das kann ich mir nicht vorstellen.«
»Vor drei Tagen, als ihr zusammen Ski laufen wart, hat Ulf morgens verschiedene Telefonate geführt und kurz darauf einige Unterlagen per Fax erhalten«, vertraute sie ihm an. »Während der Gespräche ist mehrfach Carolines Name gefallen.«
Björn schüttelte noch nicht überzeugt den Kopf. »Das würde bedeuten, dass sie Probleme mit der Polizei hat.«
Maybrit zuckte mit den Schultern. »Vielleicht ist Ulf aus diesem Grund hier aufgetaucht.«
Björn versuchte, sich an den von Maybrit erwähnten Tag zu erinnern, an Ulfs Stimmung. Er war gereizt gewesen, ohne Zweifel. Zwischen ihm und Caroline hatte eine unterschwellige Spannung gelegen, aber Björn war sicher gewesen, dass Carolines Tochter der Grund dafür gewesen war, die Vaterschaft, von der Ulf gerade erfahren hatte – und der Unfalltod der jungen Frau. Von alledem hatte Caroline zuvor nichts erzählt. Wie sie überhaupt über ihr Leben während der vergangenen drei Jahrzehnte kaum etwas preisgegeben hatte. Er runzelte die Stirn. »Hat Håkan nach Lilli gefragt?«, erkundigte er sich bei Maybrit.
»Nein, nur nach Ulf«, entgegnete sie und sah ihn von der Seite an.
»Und du hast auch nichts von ihr erzählt?«
»Nein, warum sollte ich?«
Er kam nicht mehr dazu, zu antworten, da Håkan Maybrit entdeckt hatte und auf sie zukam. Björn betrachtete ihn nachdenklich. Der Mann aus Stockholm bewegte sich ein wenig ungelenk, wie hochgewachsene Menschen es bisweilen taten, wenn sie ihre Körpergröße verbergen wollten. Sonst war außer einem runden Gesicht, das unter der Fellkapuze des grauen Anoraks hervorlugte, nicht viel von ihm zu erkennen. In der Hand hielt er eine Reisetasche. »Hej, hej«, grüßte er mit offenem Lächeln.
»Hej, Håkan«, erwiderte Maybrit. »Wie war die Nacht?«
Er seufzte. »Durchaus sportlich. Ich hab noch nie gern auf dem Flughafen übernachtet.«
Björn grinste, doch bevor er etwas sagen konnte, hatte Maybrit wieder das Wort ergriffen. »Du darfst gern ein heißes Bad bei mir nehmen. Darf ich dir Björn Nyborg vorstellen?«
»Hej, Björn.« Håkan streckte ihm zur Begrüßung die Hand hin. »Ich glaube, Ulf hat von dir erzählt, aber wir haben uns noch nicht kennengelernt, oder?«
Björn registrierte einen angenehm festen Händedruck. »Hej, Håkan, freut mich. Nein, wir haben uns nie gesehen, obwohl auch ich von dir gehört habe. Du und Ulf, ihr arbeitet schon recht lange zusammen, nicht wahr?«
»Seit fast zwanzig Jahren. Wir sind wie ein altes Ehepaar.«
»Na, dann gibt es ja wenigstens eine Konstante in Ulfs Leben«, bemerkte Maybrit trocken.
Die beiden Männer lachten, und Björn konnte nicht umhin, den Stockholmer Kriminalbeamten sympathisch zu finden. »Warum bist du bei diesem Wetter zu uns raufgekommen?«, fragte er. »Doch sicher nicht aus Sehnsucht nach Ulf?«
Ein spöttisches Lächeln spielte um Håkans Mundwinkel. »Du solltest eine solch lange Arbeitsbeziehung nicht unterschätzen.« Dann wandte er sich an Maybrit. »Darf ich auf das Angebot mit dem heißen Bad zurückkommen? Ich glaube, ich habe in meinem Leben noch nie so gefroren wie heute Nacht.«
»Aber selbstverständlich«, erwiderte Maybrit. »Mein Wagen steht da vorne.«
Håkan nickte Björn zu. »Wir sehen uns sicher noch, oder?«
»Bestimmt«, versicherte dieser.
»Du kommst nicht mit?«, fragte Maybrit.
»Ich habe hier zu tun. Wir müssen die Teams aufteilen. Ich komme vorbei, wenn ich fertig bin.«
Während er ihr und Håkan nachsah, wurde ihm bewusst, dass Håkan ihm die Antwort auf seine Frage vorenthalten hatte. Warum war er hier? Björn sah zu den Bergen auf, deren weiße Gipfel vor einem tiefblauen Himmel strahlten. Der friedliche Anblick machte es nur schwer vorstellbar, dass bis vor kurzem ein Sturm getobt hatte, der einen kaum die Hand vor Augen hatte erkennen lassen. Lediglich die Schneemassen erinnerten daran. Er zog sein Mobiltelefon aus der Tasche und wählte Carolines Nummer. Wie
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