Dein totes Mädchen: Roman (German Edition)
hatte sie nichts dagegen getan. Wieder nicht. Sie blickte in Håkans Gesicht, aus dem beim Abhören der Nachricht alle Farbe gewichen war. Er hatte keine Ahnung von Ulfs und Carolines Geschichte, wusste nichts von dem zerstörerischen Potenzial ihrer Liebe, und während sie hastig Björns Nummer in ihr Telefon eingab, fragte sie sich, was Ulfs Freund aus Stockholm so erschütterte. Was wusste er? Und warum war er hier?
»Es gibt ein Problem«, sagte sie, als Björn sich endlich meldete. »Caroline und Ulf.« Mit wenigen Worten setzte sie ihn von Ulfs Anruf in Kenntnis.
»Verdammt!«, entfuhr es Björn. »Das darf nicht wahr sein!« Einen Moment schwieg er. »Ich werde mit dem Einsatzleiter sprechen«, fügte er dann jedoch gefasst hinzu. »Wir müssen einen der Hubschrauber raufschicken.«
»Håkan möchte mitkommen«, ließ sie ihn wissen.
»Ich schaue, was ich tun kann. Kommt runter zum Lift. Wann hat er den Anruf erhalten?«
Maybrit biss sich auf die Lippe. »Vor einer halben Stunde. Ulf hat ihm auf die Mailbox gesprochen.«
»Dann haben wir keine Zeit zu verlieren.« Björn legte auf, und Maybrit begegnete Håkans fragendem Blick. »Björn spricht mit dem Einsatzleiter. Wir sollen runterkommen zum Lift«, informierte sie ihn.
»In Ordnung«, antwortete er angespannt.
Sie betrachtete ihn. Er war ein besonnener Mann, ganz anders als Ulf. Seine Nervosität beunruhigte sie. »Håkan, was ist passiert? Warum bist du hier?«, fragte sie ihn direkt.
Er zögerte, schien abzuwägen. »Tut mir leid, Maybrit«, entgegnete er dann. »Ich darf darüber nicht sprechen.«
Sie drängte nicht weiter. Sie war Anwältin und kannte die Rechtsgrundlagen, die ihn zum Schweigen verpflichteten. Aber einen Versuch war es wert gewesen.
Während der Fahrt versuchte Håkan erneut, Ulf zurückzurufen. Aber er bekam keine Verbindung. Entnervt starrte er auf sein Smartphone. »Es ist ständig besetzt.«
Maybrit antwortete nicht. Auf andere angewiesen zu sein, nicht selbst handeln zu können, war keine ihrer Stärken, und es kostete sie alle Kraft, die Panik zu zügeln, die nur darauf wartete, auszubrechen. Was war in Carolines Haus in den letzten Stunden geschehen? Håkan hatte ihr erzählt, dass er früh am Morgen noch mit Ulf gesprochen hatte und dass dieser ihm versichert hätte, alles sei in Ordnung. »Vielleicht ist ein Unfall passiert«, hatte Håkan daraufhin gemutmaßt.
Es war ganz sicher kein Unfall. Ungeduldig tippte sie mit den Fingern auf das Lenkrad ihres Geländewagens, während sie an einer durch Schneewehen verursachten Verengung den Gegenverkehr passieren ließen. Endlich erreichten sie den Liftparkplatz. Das Gelände war abgesperrt für den normalen Verkehr und vom Schnee weitestgehend geräumt. Vier große Transporthubschrauber standen wie riesige Insekten in der Mitte des Platzes. Suchend sah Maybrit sich nach Björn um und entdeckte ihn neben einem der Helikopter, von wo aus er ihr zuwinkte. Ein Mitarbeiter der Rettungsgesellschaft stand neben ihm. Maybrit und Håkan stellten den Wagen ab und eilten hinüber.
»Wir haben keinen Arzt vor Ort, nur einen Rettungssanitäter«, klärte Björn sie auf. »Aber wir haben bereits Verbindung mit dem Krankenhaus in Sveg aufgenommen. Sie sind auf alles vorbereitet.« Er wirkte souverän wie immer, aber unter der Oberfläche spürte Maybrit sein Entsetzen, seine Fragen. Was war geschehen? Sie suchte seinen Blick. »Kann ich mitfliegen?«
Er nickte. »Selbstverständlich.« Dann sah er zu Håkan. »Seid ihr so weit?«
»Ja, natürlich.«
Rotoren begannen sich zu drehen. Maybrit kletterte in den Laderaum und ließ sich von Håkan zeigen, wie sie sich anschnallen musste. Björn nahm neben dem Piloten Platz. Der Rettungssanitäter, ein junger blonder Mann mit kräftigem Körperbau in einem leuchtend orangefarbenen Overall, der sich als Magnus vorstellte, war bereits an Bord und nickte ihnen kurz zu. Gleich darauf waren sie in der Luft und schossen im Tiefflug über den See. Wenige Minuten später erreichten sie den Bootsanleger unterhalb von Carolines Haus. Maybrit hielt den Atem an, als die große Maschine auf dem Eis aufsetzte.
Magnus schob die Türen auf. Der von den Rotoren aufgewirbelte Schnee stob ihnen entgegen, und sie konnten kaum die Hand vor Augen sehen. Der Rettungssanitäter sprang als Erstes hinaus, seine Notfalltasche in der Hand. Ihm folgte Björn, dann Håkan, der Maybrit eine Hand reichte. »Vorsicht, der Schnee ist verdammt tief hier.«
Seine Warnung
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