Dein totes Mädchen: Roman (German Edition)
sie lagen, fester um sie. »Ich habe Beziehungen in Stockholm. Du bekommst eine neue Identität.«
Er spürte ihr Zögern. Sollte es ihm gelungen sein, sie zu überreden?
»Du kannst nicht für immer aus Schweden fort«, widersprach sie. »Du kannst nicht ohne dein Land leben. Gerade du nicht.«
Er umfasste ihr Gesicht mit seinen Händen. »Ich kann nicht ohne dich leben, Lilli.«
»Ulf, ich weiß, wie es ist, nicht nach Hause zu dürfen. Keine Liebe hält das aus.«
»Wir werden es schaffen.«
Wieder schüttelte sie den Kopf.
»Hast du Angst?«, fragte er.
Traurigkeit lag in ihren Augen, als sie ihn ansah. »Ich habe Angst, deine Liebe zu verlieren.«
»Himmel, Lilli, warum sollte das passieren?«
»Weil du alles für mich aufgeben würdest: dein Leben, deinen Beruf, deine Familie und Freunde. Alles. Wie soll ich mit einer solchen Hypothek leben? Mit einer solchen Verantwortung?«
»Wir fangen ganz neu an.«
»Wir sind nicht mehr zwanzig. Wir haben beide bereits ein Leben gelebt.«
»Was haben wir zu verlieren?«
»Uns, Ulf. Wir werden uns verlieren.«
Ihre Worte schmerzten. »Du hast kein Vertrauen mehr«, stellte er resigniert fest und berührte sanft ihre Wange. »Warum?«
Sie senkte den Blick, eine unscheinbare, stille Geste nur, die ihm jedoch Antwort genug war. Dein totes Mädchen, wollte er sagen, hat uns wieder zusammengeführt und trennt uns doch gleichzeitig unabänderlich. Wie sehr musst du es geliebt haben, wie sehr nur für es gelebt. Aber er sagte nichts von alledem. Er schwieg und erinnerte sich an Carolines Worte: Ich habe dich für Lianne verlassen.
Sie hatte eine Liebe für eine andere aufgegeben. Aber hatte sie das tatsächlich getan? Er blickte auf den Ring, den sie seit dreißig Jahren trug. Hatte sie ihn nicht ebenso vermisst, wie er sie? War sie nicht ebenso verloren durch ihr Leben geirrt? Und jetzt wollte sie gehen, ihn erneut zurücklassen? Wie konnte sie! Er ließ sich zurück auf das Kissen sinken und starrte an die dunkle Balkendecke. Wo würde sie leben? Wovon? Würde er sie jemals wiedersehen?
Ich möchte diese Tage mit dir nicht missen, hatte sie gesagt. Er empfand genauso. Trotz der Differenzen, die sie ausgefochten hatten, erschienen ihm die Tage mit ihr strahlend hell wie Juwelen, die das Licht in ihrem Facettenreichtum tausendfach brachen, und er konnte die Dunkelheit nur erahnen, in die er stürzen würde, wenn sie erst fort war.
Sie nestelte sich aus seinem Arm und setzte sich auf. Die eben über die Bergkuppen tretende Sonne warf ihr weiches, rotgoldenes Licht über Carolines Körper und ließ ihr Haar leuchten wie das einer der Gestalten aus den alten Geschichten, die ihm seine Großmutter immer vorgelesen hatte. Er betrachtete sie stumm, während sie zwischen den Decken und Kissen nach ihrem Pullover kramte und ihn überzog. Schließlich begegnete sie seinem Blick, beugte sich zu ihm und küsste ihn. »Danke«, flüsterte sie. »Danke für alles.«
Er sah ihr nach, als sie aufstand. Sie hatte noch immer diese langen, schlaksigen Beine, die sie schon als Mädchen gehabt hatte. Er schluckte unwillkürlich. Nein, er würde es nicht ertragen, wenn sie ging. Aber was konnte er tun?
Um sich abzulenken, griff er nach seinem Mobiltelefon. Es war Håkan gewesen, der versucht hatte, ihn zu erreichen. Er drückte die Rückruftaste.
»Hej, Ulf«, meldete sich Håkan nach nur zweimaligem Klingeln. »Wie geht es dir? Alles in Ordnung bei euch dort draußen?«
Ulf runzelte die Stirn. Woher wusste Håkan, wo er war? »Ja, alles gut«, entgegnete er zurückhaltend. »Wo bist du?«
»Unten im Dorf. Ich bin gerade mit einem der Rettungshubschrauber angekommen. Wir mussten heute Nacht auf halber Strecke wegen überraschend heftiger böiger Winde umkehren und heute in aller Früh erneut starten.«
Ulf fuhr sich mit der Hand durch das Gesicht. »Warum bist du hier?«
»Ich hielt es unter den gegebenen Umständen für das Beste.«
»So«, erwiderte Ulf nur. »Und wie hast du das in der Behörde erklärt?«
Håkan ging nicht darauf ein. »Ich habe gerade erfahren, dass es noch eine Weile dauern wird, bis es eine Möglichkeit gibt, zu euch zu kommen. Vielleicht sogar bis morgen früh. Es ist ein unglaubliches Chaos in der ganzen Region.«
»Wir kommen klar«, bemerkte Ulf knapp.
»Dann bin ich beruhigt. Übrigens …«
»Hör zu«, warf Ulf ein, bevor Håkan noch etwas sagen konnte. »Ich will meinen Akku nicht unnötig strapazieren …«
»Alles klar, wir sehen
Weitere Kostenlose Bücher