Dein totes Mädchen: Roman (German Edition)
haben hier mit dem Festnetz auch erst seit knapp einer Stunde wieder Verbindung.«
»Wie ist denn die Lage bei euch?«
»Noch kritisch. Der Sturm hat nachgelassen, aber wir müssen mit neuen Schneefällen rechnen.«
»Die Behörden ziehen Rettungsmannschaften aus ganz Schweden zusammen, um sie nach Dalarna und Jämtland zu schicken.« Er räusperte sich. »Ich werde in etwa drei Stunden mit einem Trupp per Hubschrauber bei euch eintreffen.«
»Oh, wirklich?«, entfuhr es ihr überrascht.
»Gibt es eine Möglichkeit, wo ich übernachten kann?«
»Ich habe ein Gästezimmer, das ich dir anbieten kann.«
»Das ist mehr, als ich zu hoffen wagte«, gestand er.
Sie lachte. Es war ein tiefes, kehliges Lachen. »Ulf würde mich umbringen, wenn ich dich nach Tannas ins Hotel schickte.«
Håkan nahm das als Stichwort. »Wo ist er überhaupt?«
Er hörte, wie sie zögerte. »Er … ist außerhalb des Ortes auf einer Hütte eingeschneit«, erzählte sie schließlich. »Wir haben keinen Kontakt zu ihm.«
Allein?, wollte Håkan fragen, aber er bremste sich im letzten Moment. Er wollte keine schlafenden Hunde wecken.
»Ich nehme an, ihr werdet auf dem großen Parkplatz am Lift landen«, fuhr Maybrit fort. »Das ist die einzige größere Fläche, die wir außer dem See haben. Ich werde dich dort abholen.«
»Danke, das ist wirklich entgegenkommend.«
Ein drahtiger Mann mittleren Alters in der Uniform einer Hilfsorganisation nahm Håkan am Rand des Rollfelds in Empfang. »Håkan Bergström? Wir haben schon auf Sie gewartet.«
»Ich bin mit dem Taxi in den Feierabendverkehr gekommen«, entschuldigte er sich. Die großen Transporthubschrauber standen mit laufenden Rotoren auf einem abgesperrten Teil des Flughafens Arlanda. Überall waren Räumfahrzeuge unterwegs, deren gelbe Lichter durch die Dunkelheit zuckten. Auch in Stockholm hatte es heftig geschneit, allerdings bei weitem nicht so stark wie im Norden. In den vergangenen Tagen waren dennoch zahlreiche Flüge gestrichen worden, und auch die Bahnen hatten nicht fahrplanmäßig verkehren können. In Stockholm brauchte es nur verhältnismäßig wenig Schnee für ein Chaos.
Håkan unterdrückte ein Seufzen, als sie auf die Maschinen zueilten. Er flog nicht gern, und schon gar nicht mit einem Hubschrauber. Sicherheitshalber hatte er im Büro eine Reisetablette geschluckt. Aber ihm blieb nicht viel Zeit zum Nachdenken. Kaum dass sie eingestiegen waren und sich angeschnallt hatten, hob die Maschine ab. Håkan presste sich in seinen Sitz.
»Wie im Fahrstuhl, nicht wahr?«, rief ihm sein Gegenüber über den Lärm hinweg zu. Håkan lächelte gequält. Auch Fahrstühle mochte er nicht. Er war in dieser Hinsicht völlig anders als Ulf, der selten ein Risiko scheute, was schon bei der Wahl seiner Sportarten deutlich wurde: alles, was schnell war und zu Adrenalinausschüttungen führte. Immerhin hatte er zur Erleichterung der ganzen Abteilung vor einigen Jahren nach einem schweren Unfall das Motorradfahren aufgegeben. Drei Wochen hatte er damals im Krankenhaus gelegen, eine davon im künstlichen Koma. Ein Autofahrer hatte ihm die Vorfahrt genommen, und Ulf hatte mehr Glück als Verstand gehabt, dass er überlebt hatte. Seine Rennmaschine war nur mehr ein zerquetschter Haufen Metall gewesen. Der Anblick des zerstörten Motorrads hatte Ulf mehr zugesetzt als seine eigenen Verletzungen, und er hatte sich kein neues gekauft. »Ist nichts auf dem Markt, was mir gefällt«, hatte vor ein paar Monaten erst auf die Frage eines Kollegen geantwortet, und Håkan hatte innerlich aufgeatmet.
Wie würde er ihm jetzt begegnen? Seine Stimme hatte angespannt geklungen, als sie vor wenigen Tagen telefoniert hatten, gehetzt geradezu. Es war eine Frau im Spiel, die Ulf so viel bedeutete, dass er bereit war, über Gesetze hinwegzusehen. Das war neu. Nach zwanzig gemeinsamen Jahren wusste Håkan nicht, was ihn erwartete, wenn er auf Ulf treffen würde, und das war kein Gedanke, der ihm gefiel.
28.
V erdammt«, stöhnte Ulf, während das Telefon penetrant weiterklingelte.
Caroline löste sich aus seinem Arm.
»Nicht«, flüsterte er. »Bleib bei mir.«
Sie schüttelte den Kopf, aber er hielt sie fest. »Hör zu«, begann er, das Klingeln hartnäckig ignorierend. Wenn er es ihr jetzt nicht sagte, würden sie keine Gelegenheit mehr dazu haben. »Hör zu, Lilli, wir gehen gemeinsam fort.«
»Ulf, nein …«
»Wir heiraten und verlassen Europa«, fuhr er unbeirrt fort und zog die Decke, unter der
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