Dein totes Mädchen: Roman (German Edition)
uns.«
Ulf legte auf. Im Gegensatz zu Håkan war er alles andere als beruhigt.
Nachdenklich zog er sich an und fachte das Feuer wieder an. Er war gerade fertig, als er Caroline bemerkte, die in Winterkleidung im Flur stand. In der Hand hielt sie eins der Gewehre ihres Vaters. Er stand auf. »Was hast du vor?«, wollte er wissen.
»Ich gehe jetzt, Ulf«, sagte sie ruhig.
Ungläubig starrte er sie an. »Wie …? Du kannst doch nicht …«
»Es ist vorbei«, fügte sie scheinbar ungerührt hinzu und wandte sich zur Haustür.
»Lilli, nicht … warte!«
Sie blieb stehen.
»Bitte«, beschwor er sie. »Du darfst nicht einfach so gehen.« Er musste etwas tun, sie aufhalten, er durfte nicht zulassen, dass sie verschwand. Nicht noch einmal. Aber sein Kopf war leer, da war nichts, nicht einmal Worte.
»Ich habe dir gesagt, dass es passieren wird.«
»Ich weiß, aber …« Sein Blick fiel auf den Revolver, der noch immer auf dem Tisch lag. Ihn an sich zu nehmen, zu entsichern und auf Caroline zu richten war eine einzige fließende Bewegung. Er hatte diese Dinge sein Leben lang getan.
»Leg das Gewehr weg«, forderte er sie auf und atmete tief durch, um sich zu beruhigen.
Sie rührte sich nicht. »Komm nicht näher«, warnte sie.
»Leg das Gewehr weg«, wiederholte er. »Du gehst nirgendwohin.«
»Du wirst mich nicht davon abhalten«, entgegnete sie. Sie gab sich bestimmt, doch er hörte das kaum wahrnehmbare Beben in ihrer Stimme. Verdammt, er musste nur nah genug an sie herankommen. Er ging einen Schritt auf sie zu, doch eine Bewegung am Rande seines Gesichtsfeldes lenkte ihn ab. Der Hund. Ulf hörte ein warnendes Knurren, im nächsten Moment schon setzte das Tier zum Sprung auf ihn an. Ulf zögerte nicht, drehte sich um und schoss.
»Nein!«, schrie Caroline auf, als der Hund neben ihm jaulend zu Boden ging. Ulfs Finger krampften sich um den Revolver. Es war reiner Reflex gewesen. Er hatte nicht einmal nachgedacht. Wie sollte er ihr das erklären?
»Lilli, ich …«, wandte er sich zu ihr und erstarrte, als er in die Mündung des Gewehrs blickte. Tränen liefen über ihre Wangen, aber ihre Hand war ruhig. »Ich gehe jetzt. Wenn du versuchst, mir zu folgen, erschieße ich dich. Leg die Waffe auf den Boden.«
In Bruchteilen von Sekunden wog Ulf seine Chancen ab. Er musste die Situation entschärfen. Langsam breitete er die Arme aus und legte den Revolver vor sich auf den Boden. Er ließ Caroline dabei nicht aus den Augen. »Lilli, hör mir zu«, begann er, doch sie ignorierte ihn.
»Kick ihn zu mir«, wies sie ihn lediglich an.
Er gab der Waffe einen Stoß mit dem Fuß. Sie schlitterte über die Holzdielen bis zur Türschwelle. Er hielt unwillkürlich den Atem an und spannte die Muskeln, doch Caroline bückte sich nicht danach, wie er gehofft hatte. Es wäre der Moment gewesen, sie zu überwältigen.
»Bitte, lass uns reden«, machte er einen letzten Versuch.
Sie schüttelte den Kopf. Etwas an ihren Bewegungen irritierte ihn. Er sah, wie sie blinzelte, schluckte. »Wag es nicht, mir zu folgen!«
Er machte einen weiteren Schritt auf sie zu. »Was hast du getan?«
Ihr Finger legte sich um den Abzug. Er ignorierte es. Sie würde nicht schießen. Nicht auf ihn.
»Bleib stehen«, warnte sie ihn.
»Bitte, Lilli, was hast du vor?«
Sie griff mit ihrer freien Hand in die Jackentasche, zog etwas heraus und warf es ihm zu. »Ich habe dir gesagt, dass ich nicht ins Gefängnis gehe.«
Er starrte auf die leere Tablettenpackung in seiner Hand und wurde bleich vor Entsetzen. »Oh, mein Gott, Lilli!« Und seine Sorge ließ ihn alle Vorsicht vergessen.
Der Knall war ohrenbetäubend, und die Wucht des Schusses warf ihn auf den Boden, noch bevor er den Schmerz spürte, der vom Oberschenkel aus durch seinen Körper zuckte. Er schrie auf, griff sich ans Bein und sah, wie sie sich abwandte und hinausrannte. Die Haustür schlug zu.
Und dann war Stille.
Leere.
Sonnenstrahlen flossen durch den Raum, Staub tanzte in ihnen. Ulf atmete schwer. Sie hatte auf ihn geschossen. Sie hatte es wirklich getan. Er starrte auf sein Bein, auf den Boden, der sich rot färbte von seinem Blut, und kämpfte gegen den Schwindel, der ihn befiel. Er durfte nicht ohnmächtig werden, nicht jetzt, er musste …
29.
B jörn blickte auf Håkan Bergström, der aus einem der vier soeben gelandeten Hubschrauber stieg, und fragte sich, was zum Teufel der Mann bei ihnen wollte. Warum tauchte er ausgerechnet jetzt mitten in diesem Schneechaos
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