Dein totes Mädchen: Roman (German Edition)
aufgestanden. »Ich gehe sie suchen …«
»Björn, warte«, hielt Maybrit ihn zurück, aber er schien sie nicht einmal zu hören. Die Selbstverständlichkeit, mit der er agierte, überraschte Håkan, aber es blieb ihm keine Zeit, darüber nachzudenken, denn in diesem Moment startete der Hubschrauber unten auf dem See seine Rotoren. Håkan half dem blonden Sanitäter, den in Decken gewickelten und bewusstlosen Ulf auf die Trage zu legen.
»Ich helfe, ihn runter zum Hubschrauber zu bringen«, sagte er, zu Maybrit gewandt. »Aber ich muss hierbleiben.«
»Kein Problem, ich begleite Ulf nach Sveg ins Krankenhaus«, bot sie sofort an.
Håkan lächelte dankbar. »Das hatte ich gehofft.«
Sie ging ihnen voraus zum See hinunter. Der Krach der Rotoren hallte über die weite Fläche und wurde von den Berghängen am gegenüberliegenden Ufer zurückgeworfen. Es war nicht leicht, die Trage durch den hohen Schnee zu transportieren, doch schließlich erreichten sie das Ufer. Maybrit war bereits an Bord des Hubschraubers und half, die Trage dort zu sichern.
Håkan ging nach vorn zum Piloten. »Wir sind auf der Suche nach einer zweiten Person. Wir brauchen umgehend einen weiteren Transport.«
»Ich kann in einer Stunde wieder hier sein«, erwiderte der Mann.
»Das ist vielleicht zu spät«, gab Håkan zu bedenken.
»Ich werde sehen, was ich tun kann.«
Augenblicke später sah Håkan der Maschine nach, die über den See davonflog, schnell kleiner wurde und schließlich hinter einer Biegung verschwand. Der letzte Eindruck von Ulf, seine reglose Gestalt und sein viel zu blasses Gesicht, ging ihm nicht aus dem Kopf. Sein Kollege hatte verdammt viel Blut verloren. Dass er es überhaupt noch ans Telefon geschafft hatte, war ein Wunder und könnte ihn im Nachhinein das Leben kosten.
Håkan blickte mit zusammengekniffenen Augen über den verschneiten See. Weder von Björn noch von Caroline war eine Spur zu entdecken, doch er hatte keinen Zweifel, dass Nyborg die Frau finden würde. Der Mann war in dieser Wildnis aufgewachsen, und bei diesen Wetterverhältnissen würde selbst ein ungeübter Fährtenleser die frische Spur nicht verfehlen, die sie auf ihrer Flucht im Schnee hinterlassen hatte. Die Frage war nur, ob Björn sie rechtzeitig fand. Håkan trat unangenehm berührt mit dem Fuß in den Schnee, als ihm klarwurde, dass er sich wünschte, der Mann würde zu spät kommen. Es würde ihnen allen eine Menge Ärger ersparen.
Er wandte sich ab und ging zurück zum Haus. Als er die wenigen Stufen zur Veranda hinaufstieg, klingelte sein Telefon. Es war Mette.
»Wie geht es dir?«, wollte sie wissen. »Hast du inzwischen Kontakt zu Ulf?«
Das Telefon am Ohr, betrat er das Haus, ging durch den Flur und blieb in der Wohnzimmertür stehen, und angesichts des Bildes, das sich ihm bot, angesichts all des Bluts, des reglosen Hundekörpers und der Spuren der Tragödie, die sich hier abgespielt haben musste, brachte er mit einem Mal keinen Ton heraus. Im Traum hätte er es nicht für möglich gehalten, dass die Begegnung zwischen Ulf und Caroline Wolff tödlich enden könnte.
»Håkan? Ist alles in Ordnung?«, hakte Mette nach.
Er schluckte. »Ich … kann jetzt nicht sprechen. Ich rufe dich später zurück, Mette.«
Er ließ das Telefon sinken und betrat den Raum. Was war hier in den vergangenen zweieinhalb Tagen geschehen? Er hatte versucht, etwas von Maybrit über die Geschichte von Ulf und Caroline zu erfahren, aber ihre wortkargen, einsilbigen Antworten hatten ihm nicht weitergeholfen. Er betrachtete den Hund. Wenn du sprechen könntest, dachte er und kniete neben ihm nieder. Der Atem des Tiers ging schwach, aber sein Herz schlug kräftig, und die Wunde an seiner Seite hatte aufgehört zu bluten. Er würde ihn mitnehmen und im Ort zu einem Tierarzt bringen. Vielleicht brachte der ihn durch. Er strich dem Tier über den großen Kopf. Vermutlich benötigte er zum Überleben die gleiche Portion Glück wie Ulf. Håkan stand wieder auf, zog erneut sein Mobiltelefon aus der Tasche und wählte die Nummer des Einsatzleiters unten im Dorf. »Wie sieht es aus mit einem zweiten Transport?«, fragte er.
»Habt ihr die vermisste Person gefunden?«, wollte der Mann wissen.
»Ich nehme an, dass sich Björn Nyborg jeden Moment melden wird. Weit kann sie nicht gekommen sein.«
34.
V erbissen kämpfte Björn sich durch den Schnee vorbei an der Stelle, wo der Hubschrauber gelandet war, gleich neben dem Bootsanleger. Sein Herz war schwer, so schwer
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