Dein totes Mädchen: Roman (German Edition)
dass das Haus ursprünglich Carolines Eltern gehört hatte und Einrichtung und Zustand seit ihrem Tod unverändert waren. Nachdenklich betrachtete er die alten Möbel und die Bücher, die im Wohnzimmer die Wände zierten, und das berückende Panorama, das sich beim Blick aus den großen Fenstern zum See bot. Was bewog eine Frau, die in einem solchen Umfeld aufgewachsen war, einen Mord zu begehen? Es musste mehr dahinterstecken als nur der Tod ihrer Tochter. Aber was?
Er sah auf die Blutlache auf dem Boden vor der Couch. Sie zeugte davon, dass Ulf dort gestanden haben musste, als Caroline auf ihn geschossen hatte. Suchend trat Håkan näher und fand zu seiner Bestätigung in der Rückwand der Couch ein Einschussloch. Dort war die Kugel eingedrungen, nachdem sie Ulfs Oberschenkel durchschlagen hatte. Sein Blick fiel auf den reglosen schwarzen Körper des Hundes. Hatte sie auch auf ihn geschossen? Als er sich zu dem Tier hinunterbeugte, stellte er fest, dass es noch atmete. Ebenso wie Ulf hatte der Hund eine Menge Blut verloren, aber der Streifschuss war nicht aus dem Gewehr abgefeuert worden, das hätte der Hund nicht überlebt. Hatte Ulf auf den Hund geschossen? Wenn Håkan sich die Mühe machte zu suchen, würde er sicher die Kugel finden und diese Frage beantworten können, aber dafür war jetzt keine Zeit.
Neben den verwischten Blutspuren an der Couch fand er Kratzspuren im Leder der Lehne. Hier hatte Ulf sich hochgezogen. Vermutlich hatte sein Telefon auf dem Couchtisch gelegen. Håkan warf einen Blick auf das Möbel. Weingläser standen dort, ein Buch lag daneben und Ulfs Uhr. Weitere Blutspuren zogen sich bis zum Couchtisch, neben dem Ulf noch immer lag. Bis dorthin hatte er sich geschleppt, hatte angerufen und war zusammengebrochen. Und die Frau war verschwunden. Verdammt. Was war, wenn Ulf starb? Håkan atmete tief durch. Nein, er würde diese Option nicht in Betracht ziehen.
»Wie schnell können wir ihn in ein Krankenhaus bringen?«, fragte er den Sanitäter.
»Sobald ich die stabilisierenden Maßnahmen abgeschlossen habe«, erklärte der Sanitäter. »Ich habe den Piloten schon informiert.«
In diesem Moment schlug Ulf die Augen auf, und Håkan bemerkte, wie Björn und Maybrit den Atem anhielten.
Ulfs Blick traf auf Björn. »Du bist da«, flüsterte er. Björn nahm seine Hand und drückte sie, nickte, ohne etwas zu sagen. Eine Szene, die Håkan mehr über die Beziehung der beiden Männern verriet, als jede noch so ausführliche Erklärung es vermocht hätte. Ulf versuchte, sich zu bewegen, sich aufzurichten, doch Björn zwang ihn zur Ruhe.
»Lilli …«, stieß Ulf hervor.
»Wo ist sie?«, fragte Björn.
»Draußen … ich … weiß nicht …«
»Ich finde sie«, versprach Björn.
Ulf hielt seinen Blick, es lag etwas Drängendes darin, und Håkan begriff, dass Ulf noch etwas sagen wollte, er kämpfte um die Worte, brachte aber die Kraft nicht mehr auf. Auch Björn spürte es. »Ich finde sie«, versicherte er noch einmal, und sie alle mussten hilflos zusehen, wie Ulf in die Ohnmacht zurückglitt.
Was hatte Ulf ihnen noch mitteilen wollen? Angespannt sah Håkan sich um, und sein Blick fiel auf eine Pappschachtel, die in der Nähe des Hundes unter der Couch hervorragte. Er hob sie vorsichtig mit einem Papiertaschentuch auf und zog eine Braue hoch, als er erkannte, um was es sich handelte.
Björn sah zu ihm hinüber. »Was hast du da?«
»Diazepam«, entgegnete er.
»Was ist das?«, wollte Björn wissen.
»Ein Schlaf- und Beruhigungsmittel«, warf Magnus, der Sanitäter, ein. »Wie viele fehlen?«
Håkan öffnete die Packung. »Zehn Stück, wie es aussieht.«
»Ulf Svensson kann keine genommen haben«, stellte Magnus fest. »Dann wäre er jetzt nicht zu sich gekommen.«
Maybrit starrte ungläubig auf die Schachtel in Håkans Hand. »Dann hat Caroline sie genommen?«
»Ich fürchte, ja«, bestätigte Håkan und dachte an den Text, den Ulf auf seine Mailbox gesprochen hatte und der in diesem Moment eine völlig neue Bedeutung bekam. Lilli … sie … Caroline Wolff wollte sich das Leben nehmen, das hatte Ulf ihnen mitteilen wollen. Håkan räusperte sich. »Wie es aussieht, hat sie erst die Tabletten geschluckt und dann das Haus verlassen. Wenn wir sie lebend finden wollen, müssen wir uns beeilen.«
Maybrit wurde blass. »Caroline will sich umbringen!« Ihre Stimme schwankte vor Entsetzen.
Sie hatte den Satz noch nicht zu Ende gesprochen, da war Björn schon von seinem Platz neben Ulf
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